Ein Schupps in die richtige Richtung

Buchkritik:

„Nudge“ von Richard Thaler & Cass Sunstein –  

Amerikanische Sachbücher, auch wenn sie extrem erfolgreich sind, benötigen immer eine gewisse Zeit, bis sie ins Deutsche übersetzt werden. Die deutsche Version des folgenden Buches ist schon angekündigt und soll in den nächsten Wochen mit dem Titel „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ erscheinen (mittlerweile ist das Buch erschienen). Damit hat sich der Verlag vor der Aufgabe gedrückt, das englische Wort „nudge“ ins Deutsche zu übertragen. Man könnte es vielleicht am besten mit „Schupps“ übersetzen – wenn man jemanden in seinen Verhalten beeinflussen will, ohne ihm etwas vorzuschreiben oder zu befehlen, gibt man ihm einen kleinen Schupps – damit lenkt man ihn ein kleines bisschen in die richtige Richtung. Das ist die Idee von „Nudge“.


Welche Bedeutung sie für viele Bereiche des täglichen Lebens hat, zeigen die Autoren, zwei gestandene Wirtschaftswissenschaftler, detailliert auf. Menschen handeln nicht immer vernünftig, selbst wenn es um so wichtige Dinge wie Altersvorsorge oder Geldanlage geht. Sie sind träge und wollen sich nicht immer mit unangenehmen Aufgaben beschäftigen.

Deshalb beeinflussen Voreinstellungen oft die finale Entscheidung, was sich am Beispiel Organspende-Bereitschaft zeigt: In Deutschland haben nur 12% der Bevölkerung einen Organspenderausweis, in Österreich sind es 99%. Der Grund ist ganz einfach: Jeder Österreicher ist automatisch Organspender, es sei denn, er füllt ein Formular aus, in dem er sich dagegen ausspricht. In Deutschland ist es umgekehrt: Man muss sich aktiv als Organspender registrieren lassen. Ist jetzt die Wahlfreiheit der Deutschen oder Österreicher eingeschränkt? Eigentlich nicht, denn jeder kann selbst die Entscheidung treffen. Doch der Gesetzgeber kann die Rate der Organspender beeinflussen, je nachdem, welche Voreinstellung er wählt und dabei die Trägheit der Menschen in Betracht zieht.

Die Autoren nennen eine solche Strategie „Libertarian Paternalism“ – der Staat oder Unternehmen beeinflussen die Entscheidungen, ohne dabei die Wahlfreiheit einzuschränken. Das geschieht einfach durch eine auf psychologischen Erkenntnissen basierende Entscheidungs-Architektur („choice architecture“). In dem Buch werden dazu zahlreiche Beispiele angeführt: Von der Schulkantine, die gesundes und weniger gesundes Essen in einer bestimmten Reihenfolge platziert, über Methoden zum Energiesparen, bis hin zu staatlichen Programmen zur Altersversorgung oder medizinischer Betreuung.

Die meisten dieser Beispiele sind sehr spezifisch für die Vereinigten Staaten – deutsche Leser müssen sich da in viele schwierige Bereiche hineindenken. Die entsprechenden Kapitel sind sehr detailreich, weshalb die Lektüre schon recht anstrengend ist. Viele der Beispiele drehen sich auch um staatliche Programme und Gesetze, das Buch ist alles andere als ein Marketing-Ratgeber. Aber trotzdem lohnt es sich, über die Idee des „Libertarian Paternalism“ nachzudenken. Denn immer mehr Verträge und Käufe geschehen heute über das Internet – und da ist die richtige „choice architecture“ eines Bestellformulars extrem wichtig, ganz zu Schweigen von Voreinstellungen und Default-Settings.

Wer Kunden und Käufer durch einen komplexen Prozess der Entscheidung führen muss, sollte sich mit den Ideen von „Nudge“ beschäftigen. Allerdings muss er aber die Arbeit auf sich nehmen, die relevanten Schlussfolgerungen für sein Geschäft aus der Fülle von spezifischen Beispielen und Details selbst zu ziehen. Hier wären ein paar „Nudges“ in der Struktur des Buches durchaus hilfreich gewesen…

Richard H. Thaler / Cass R. Sunstein: Nudge – Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness; Penguin Books (Taschenbuch), London 2009, 312 Seiten, ca. 14€, ISBN 978-0143115267

Deutsche Ausgabe:
Richard H. Thaler / Cass R. Sunstein: Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt; Econ, Köln 2009, 389 Seiten, 22,90 €, ISBN 978-3430200813

UPDATE 2021:

Es sollte nur kurz erwähnt werden, dass Richard Thaler 2017 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen bekommen. Die Idee des „Nudgings“ wird zunehmend auch in der Politik diskutiert – nach wie vor kontrovers.