Auf dem Weg in die Game Society

Für das Magazin „tendenz“, das zu den Medientagen München 2007 eine Sonderausgabe mit dem Titel „Media Yourself“ herausgab, schrieb ich den folgenden Artikel, der einige wichtige Gedanken enthält – insbesondere die Bedeutung von Spielen für die zukünftige Medienwelt.

Die Medien von morgen sind spielerisch und vernetzt

Web 2.0 hat es in Deutschland schwer, doch es ist nicht aufzuhalten. Denn es gibt psychische Bedürfnisse, welche die Verbreitung und Nutzung von Social Networks und anderen Online-Angeboten weiter vorantreiben werden. Forschungsergebnisse helfen uns, die Motivation für den Umgang mit neuen Medien besser zu verstehen und daraus Ableitungen für die Marketing-Kommunikation zu treffen. Wenn man die Mechanismen in den Köpfen und Herzen der Konsumenten versteht, können wir die künftige Medienentwicklung erahnen. Und die wird spannend, denn die Medien der Zukunft werden nur relevant sein, wenn sie nicht nur vernetzt sind, sondern den Nutzern auch die Möglichkeit zum Spielen geben.

Die Marketing-Welt hat eine Vorliebe für Hypes – also Themen, die kurzfristig einen heftigen, aber nicht besonders langlebigen Medienrummel verursachen. Was heute gerne unter dem Begriff Web 2.0 zusammengefasst wird, hat schon den einen oder anderen Hype stimuliert – eine Zeitlang waren Blogs in aller Munde, dann kamen Youtube, Second Life und wer weiß, was als nächstes die Schlagzeilen der Marketing-Presse füllen wird.

Selbst das Ende eines Hypes verursacht einen Hype – plötzlich reden alle genauso aufgeregt über das „Ende des Blogging-Wahns“ (so eine Überschrift aus dem Fachblatt w&v) wie sie zuvor die Weblogs hochgejubelt haben. Hinter all diesen Schlagworten und Moden muss man kritisch überprüfen, was sich wirklich geändert hat und was sich noch ändern wird. Und tatsächlich: Es ist mehr, als viele denken und grundlegender, als viele ahnen.

Die Deutschen sind Network-Muffel

Schauen wir uns einmal stellvertretend ein Web 2.0-Phänomen genauer an. Da sind die Social Networks. Auf den ersten Blick handelt es sich um nichts Neues: Soziale Netzwerke gab es schon immer – Familien, Gemeinden, Zünfte, die „Scientific Community“, Alumni-Vereinigungen, Clubs oder Parteien. Mal werden sie als Gemeinschaft gelobt oder als Seilschaft verschrien. Sie wurden auch schon oft für Marketing-Zwecke eingesetzt, man denke nur an das professionelle Networking rund um die Tupper-Partys.

Doch das Internet hat diesen Netzwerkgedanken doch verändert: Die schiere Anzahl der Verbindungen und Knoten in einem Network wird durch das Internet dramatisch erhöht. Und wie so oft führt eine Erhöhung der Quantität auch zu einer neuen Qualität. Und mit jedem weiteren Neuzugang im Netzwerk wächst dessen Attraktivität. Kein Wunder, dass in vielen Ländern Social Network-Portale zu den wichtigsten Online-Angeboten gehören.

Die Deutschen sind allerdings – wie auch bei Blogs und anderen Web 2.0-Phänomenen – eher zurückhaltend. In anderen Regionen, etwa in Südamerika, Asien und Südeuropa, sind die Internet-Nutzer wesentlich offener und aktiver, wenn es um Network-Seiten wie MySpace oder msn Spaces geht. Das zeigt eine internationale Online-Umfrage unter regelmäßigen Internetnutzern, die Universal McCann in 21 Ländern durchgeführt hat (Die Ergebnisse der nächsten Welle umfassen übrigens bereits 31 Länder und werden im Herbst veröffentlicht).

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Die Gründe liegen dafür auf der Hand: Neben kultureller Prägung, die in Deutschland eher auf Konformität und das Wahren der Intimsphäre achtet, ist vor allem das große Angebot professioneller Websites in deutscher Sprache eine Bremse für die Web 2.0-Entwicklung. In anderen Ländern gibt es weitaus weniger muttersprachliche Seiten, da ist die Motivation, selbst aktiv zu werden, weitaus größer als in Deutschland.

Doch diese kulturell bedingte Reserviertheit soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hierzulande die Akzeptanz von Web 2.0 steigt und es junge Bevölkerungssegmente gibt, die schon jetzt sehr aktiv sind. Wir können das aus den gerade aktuellen Daten unserer großen repräsentativen Lifestyle- und Media-Studie „Media in Mind“ entnehmen.

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Das digitale Poesiealbum

Das Internet hat die Social Networks nicht erfunden, aber ihnen eine neue Dynamik gegeben: Zeit, Ort und Geld sind plötzlich nicht mehr relevant, um Teil eines Netzwerks zu sein. Networking wird plötzlicher leichter, effektiver und effizienter. Und die Reichweite des eigenen Netzwerks wird potenziert, weil das Internet neue Technologien dazu bereitstellt. Die Teenager früherer Generationen konnten ihr Poesie-Album nur immer einer begrenzten Anzahl von Freunden in die Hand drücken.

Network-Portale, die digitalen Poesiealben unserer Zeit, haben einen weitaus umfangreicheren Wirkungskreis. Nun kommen aber wieder die Unkenrufe: Ein Teenager, der 300 „Freunde“ bei MySpace oder msn sein eigen nennt, habe eben gerade keine Freunde, sondern nur anonyme Kontakte, hinter denen vielleicht ganz andere Personen stecken, als er denkt. Aber auch das ist nichts Neues: Brieffreundschaften gab es auch schon im Zeitalter von Briefmarken und Büttenpapier. Tatsächlich können wir heute durch Internet und Mobiltelefon aber viel leichter mit neuen und alten Bekannten in Kontakt bleiben.

Dadurch verkümmert unsere soziale Kompetenz nicht, sondern sie wird verbessert. Gerade junge Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft erst finden müssen und sich in der Postmoderne ohne klare Vorbilder und mit vielen Unsicherheiten zurecht finden sollen, können spielerisch ausprobieren und dadurch eine gefestigte Identität aufbauen. Universal McCann hat in einer umfangreichen qualitativen Studie zusammen mit dem Frankfurter Marktforschungsinstitut creative analytic 3000 das Medienerleben der heutigen Jugendlichen untersucht. Unser Ergebnis: Die jungen Menschen vereinsamen nicht durch neue Medien, sondern sie managen damit ihre Sozialkontakte und sammeln so Erfahrungen im zwischenmenschlichen Umgang.

Eine virtuelle Interaktion – sei es bei msn Spaces, im Habbo-Hotel oder beim Online-Game „World of Warcraft“ – ist trotz des Gejammers der Kulturkritiker eine Interaktion mit echten Menschen. Hier lernt man zu kooperieren und zu konkurrieren, neue Leute kennenzulernen und alte Freunde noch enger an sich zu binden, sich selbst darzustellen und unmittelbar ein Feedback zu bekommen.

Wenn man die neuen Medien aus der Sicht der Menschen sieht, nicht aus der von Oberlehrern und Kulturpessimisten, dann sieht man den klaren Nutzen den sie stiften. Junge beruftätige Väter und Mütter können ihr Privatleben besser managen, Familien, die das Schicksal in die ganze Welt verstreut hat, werden am Bildschirm wieder vereint, unsichere pubertierende Jugendliche bekommen ihre Erfolgserlebnisse in der Interaktion in einem Online-Spiel und bauen dadurch eine stabile Persönlichkeit auf, Dating-Portale sind selbst in Deutschland (dem Schlusslicht in der internationalen Web 2.0-Entwicklung) mittlerweile ein Massenphänomen.

Das hat Auswirkungen auf Mediennutzung und auch Informationsverhalten von uns allen, besonders aber das der jungen Generation. Sicherlich sind einige Web 2.0-Angebote nur für eine begrenzte Lebensphase relevant: Auch das digitale Poesiealbum wird irgendwann an Reiz verlieren und außer Studenten und berufsmäßigen Internet-Freaks wird kaum jemand die Zeit aufbringen, die für die Pflege eines eigenen Blogs notwendig ist. Doch es werden sich auch stabile Verhaltensweisen einbürgern: Ein Ex-Blogger wird sich auch in Zukunft immer mal im Internet sich die Meinung über ein neues Produkt einholen, bevor er es kauft. Darauf muss die Marketing-Kommunikation einstellen.

NEXT THING NOW

Die Kunden unserer Agentur fragen uns seit Jahren, wie sich die Medien künftig entwickeln werden. Diese Aufgabe nehmen wir uns zu Herzen und haben sie sogar in unseren Marken-Claim aufgenommen: „NEXT THING NOW“. Was kommt nun auf uns zu und wie können wir das für die Marketing-Kommunikation nutzen? Eins ist ganz klar: Klassische Medien werden natürlich nicht durch den „Digital Lifestyle“ verdrängt werden – im Gegenteil: Die digitale Technik wird dazu führen, das noch mehr Papier gedruckt, noch mehr Musik gespielt und noch mehr TV gesendet wird. Fernsehen wird immer eine wichtige Funktion haben – es entlastet die Menschen von dem Druck, ständig zu kommunizieren und liefert das wohlige Gefühl des passiven Berieseln Lassens – einschalten, um abzuschalten.

Und eine Zeitschrift ist immer noch ein gutes Zwischendurch-Medium. Doch differenziert sich die Mediennutzung der Menschen immer weiter aus, wird vielschichtiger, aktiver, individueller. Das ist nur aus Sicht von altmodischen Werbeleuten ein Problem, für die Nutzer selbst bedeutet es einfach mehr Spaß. Als Mediaplaner liegen hier genau die Chancen für eine effektive Kommunikation. Das nächste Jahrzehnt wird noch mehr durch die Konvergenz von passiver Unterhaltung und aktivem Spiel geprägt sein. Computer- und Video-Spiele sind nur die Spitze des Eisbergs, schon jetzt sind die Deutschen auf dem Weg in die Spiel-Gesellschaft – quer durch alle Altergruppen und Bevölkerungsschichten, wie unsere Studie „Media in Mind“ zeigt.

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Spiele und Medien sind der Megatrend der nächsten Jahre. Immer mehr Zeit wird mit Computer- und Konsolen-Spiele zugebracht, auch Geld wird zunehmend in diese Freizeitaktivität investiert. Schon jetzt sagt ein Viertel der 14 bis 29jährigen, dass sie sich ein Leben ohne PC- oder Video-Spiele nicht vorstellen können. Auch wird der Inhalt der klassischen Medien immer spielerischer: Techniken wie Bluetooth erlauben eine direkte Interaktion, die besonders zum Spielen genutzt werden wird.

Medien der Zukunft sind immer auch „Games“ – schon jetzt kann man das überall beobachten, von der Call-In-Show im Fernsehen bis zum Sudoku in der Programmzeitschrift. Marketing-Kommunikation kann nur gelingen, wenn wir die Bedürfnisse unserer Konsumenten besser verstehen. Nur dann können wir die Kommunikations-Chancen nutzen. Und in Zukunft werden die Medien immer vernetzter und spielerischer werden. Die großen Hypes wie „Second Life“ sind nur die Oberflächenphänomene, doch dahinter verbirgt sich weitaus mehr. Marketing- und Mediaexperten sollten sich ohne Vorurteile auf das Spiel der Zukunft einlassen.

Erschienen in: Media Yourself – Wie das Internet Medien und Gesellschaft verändert; Sonderbeilage zu den Medientagen München 2007; Oktober 2007, S. 9 – 10

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