Fußball heute: Ein Marketing-Overkill

Die Fußball-WM ist nicht nur ein sportliches Highlight, sondern auch ein Marketing- und Werbe-Overkill. Bei der Transformation von einer Sportart in eine kommerzielle Unterhaltungsindustrie ist der Fußball schon recht weit gekommen. Dazu meine Kolumne für Springer for Professionals.

Wrestling auf dem Spielfeld

Sind Sie ein Wrestling-Fan? Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht sind Sie schon einmal spätabends beim Zappen durch die TV-Kanäle versehentlich für ein paar Minuten bei einer Wrestling-Sendung hängengeblieben. Dann zeigte sich Ihnen ein bizarres Bild: Riesige unförmige erwachsene Männer in grotesken Kostümen dreschen aufeinander ein, während ein Publikum dazu johlt und Moderatoren aufgeregt das Geschehen kommentieren. Die gezeigten Stunts, Würfe und Kampfhandlungen scheinen offensichtlich einstudiert zu sein. Das ganze folgt einer ausgeklügelten Inszenierung, alle Rollen sind verteilt, jeder spielt mit. Für viele Menschen, vor allem in den USA, ist das eine beliebte und professionell gemachte Familienunterhaltung.

Mit Sport hat das aber alles nichts mehr zu tun. Ringkämpfe waren einst das Ideal des sportlichen Wettstreits, doch beim Wrestling ist davon nicht mehr viel übriggeblieben. Hier spielt jeder seine Rolle und die Sieger und Verlierer stehen von vorneherein fest. Gewinner sind sie alle – inklusive der Veranstalter, Fernsehsender und Werbekunden, die das Spektakel als Umfeld für ihre Botschaften nutzen. Ihnen als Zuschauer erscheint das aufdringlich, albern oder gar abstoßend. So etwas kann auch nur den Amis gefallen, denken Sie vielleicht.

Per Zeitreise zur WM 2014

Nun stellen Sie sich vor, ein Fußball-Fan aus früherer Zeit, z.B. aus den frühen 50er Jahren, würde per Zeitmaschine uns heute besuchen, gerade rechtzeitig zur Fußball-WM. Er würde staunen über die ausufernde Berichterstattung auf allen Sendern, bei dem die eigentlichen Spiele nur noch einen kleinen Teil der gefüllten Sendezeit ausmachen. Er würde sich wundern über die unzähligen Werbespots, in denen Fußball nur das Vehikel ist, um Bier, Versicherungen oder Fernsehgeräte zu verkaufen. Er würde ungläubig den Kopf schütteln über die Millionen-Gehälter der Spieler und die astronomischen Steuerschulden einiger Club-Manager. Er wäre irritiert, wie viele Produkte in einem Supermarkt versuchen, als Trittbrettfahrer bei dem Mega-Event Fußball-Weltmeisterschaft mitzufahren. Er wäre überrascht, wie stark Werbung und Kommerz in die Stadien Einzug gehalten haben – von der Trikot-Werbung bis zur LED-Bande, von den Fanartikel-Verkauf bis zur beheizten VIP-Lounge. Und er wäre vielleicht auch etwas enttäuscht, wenn er sich Fußballspiele anschaut, bei denen eher die Vereine und Mannschaften gewinnen, die den größten Etat für Spielerkäufe und Torschussprämien zur Verfügung haben.

Show und Kommerz statt Sport

Es ist nicht unwahrscheinlich anzunehmen, dass er sich denkt: Mit Sport hat das nichts mehr zu tun. Nur Entertainment und Kommerz – ganz so wie Wrestling. Zwar wurde der Schritt zu einer kompletten Inszenierung der Spiele nicht gemacht, aber vielleicht auch nur noch nicht. Denn es sieht jetzt schon so aus, als ob die Show und das Marketing wichtiger seien als das Spiel.

Was macht Fußball so unwiderstehlich für Marketing- und Werbeleute? Es ist eines der wenigen Themen, bei denen massenhaft Emotionen freigesetzt werden. Normalerweise sehen wir uns alle als einzigartige Individuen, aber wenn es um Fußball geht, lieben wir es, in der Masse aufzugehen. So viel kollektive Energie wird freigesetzt, dass jeder davon etwas abbekommen möchte.

Ganz ohne Spiel geht es nicht, oder?

Das ganze Marketing-Brimborium drum herum scheint dabei das Gemeinschaftserlebnis nicht zu beeinträchtigen, sondern eher zu fördern. Nationale Fußball-Events schalten uns auf emotionaler Ebene gleich – das schafft kein anderes Thema. Da nehmen auch alle die Gefahr in Kauf, in dem Werbe-Overkill zur WM unterzugehen, denn wenn überall Fußballer zu sehen sind, differenziert Werbung nicht mehr. Der Bezug zum eigentlichen Sport ist aber immer noch vorhanden, denn ohne Spiele würde es nicht funktionieren. TV-Kommentatoren, Spielerfrauen und Panini-Bildchen alleine reichen nicht aus, die Deutschen in einen Massen-Taumel zu versetzen. Doch passt sich der Sport mehr und mehr dem Spektakel an – so wurde aus dem antiken Ringkampf das amerikanische Wrestling. Wer weiß, zu was unser guter, alter Fußball noch in Zukunft mutieren wird?

Erschienen am 5. Juni 2014 auf http://www.springerprofessional.de/