Innige Umarmung oder unsittliche Berührung?

Statt von Kanälen oder Kontakten reden wir heute über Touchpoints. Das hört sich irgendwie gut an, doch die Bedeutung ist nicht immer klar. Und wie denkt der Konsument darüber: Freut er sich wirklich über jede Berührung mit einer Marke?

Früher war Werbung Krieg. Viele Werbebegriffe waren vom Militär geborgt: Es ging um Taktik und Strategien, ein „Briefing“ war eine Lagebesprechung, eine Kampagne ein Feldzug, eine Zielgruppe in erster Linie ein Ziel, und wenn beim Schuss etwas daneben ging, handelte es sich um Streuverlust. Hört man die Sprache der Werber heute, glaubt man eher in einer Hippie-Kommune zu sein: Statt Kampagnen gibt es „Conversations“, statt „Impact“ bemüht man sich um „Engagement“ oder „Connection“, es werden „Stories“ erzählt während der Konsument auf einer „Journey“ ist. In dieser weichgespülten Welt scheint kein Unternehmen mehr auf seine Kunden zu zielen und zu treffen. Stattdessen gibt es nur noch „Consumer Touchpoints“.

Touchpoints sind alles

Was ist eigentlich ein Touchpoint? Der Begriff ist so populär, dass viele Marketing-Leute schon gar nicht mehr über die Bedeutung nachdenken. Ein Touchpoint sei, so heißt es oft, ein Berührungspunkt, an dem ein Unternehmen oder eine Marke mit Kunden in Kontakt tritt. Früher – in der militärisch geprägten Zeit – nannte man das einfach auch Kontakt. Zu dessen Herstellung brauchte man einen Kanal oder ein Medium. Heute werden Kontakte, Kanäle und Medien alle in die Touchpoint-Schublade gesteckt – egal ob Kundengespräch oder TV-Spot. Manche gehen noch weiter: Ein Touchpoint liegt schon vor, wenn andere Leute über ein Unternehmen erzählen. Facebook ist so ein Bombardement von Touchpoints. Sie sind überall. Da der Begriff offensichtlich keinen Gewinn an Präzision bringt, was bringt er dann?

Touchpoints sind überall

Der Begriff wurde gerade wegen dieser Weite so populär. Nicht nur etablierte Kanäle (Werbung, Verkaufsförderung, Direktmarketing etc.) kommunizieren, sondern alles: Mitarbeiter, Design, Ladeneinrichtung, Visitenkarte und Briefbogen. Nicht zu vergessen die Verpackung – ein buchstäblicher Touchpoint, denn sie macht ein Produkt begreifbar. Mit der Idee der 360-Grad-Kommunikation kamen auch die Touchpoints in Mode. Die Idee: Mit dem Kunden immer und überall kommunizieren. Positiv ausgedrückt: ein „ganzheitliches Markenerlebnis“ zu schaffen. Oder anders gesagt: Stalking. Die Marke verfolgt mich auf Schritt und Tritt und rückt mir auf die Pelle.

Sind Touchpoints gefühlsecht?

Aber „Touch“ – das hört sich, besonders für deutsche Ohren, nach Leichtigkeit, Gegenseitigkeit und Zärtlichkeit an. Noch ein Grund für den Erfolg des Begriffes: Touchpoints scheinen etwas Emotionales und Positives zu sein. In Wirklichkeit können sie aber immer noch beiläufig, rational oder sogar negativ sein – denken Sie nur an eine Beschwerde. Auch hier wieder: Das gleiche wie ein Kontakt, nur mit einer vagen, gefühlsechten Färbung.

Doch gibt es noch einen Aspekt: Wir müssen Touchpoints immer aus Kundensicht sehen. Die alte Marketing-Sprache, mit Kanälen und Kontakten, betonte die Sender-Perspektive, der Touchpoint verweist auf die Empfänger-Sicht. Denken wir das konsequent zu Ende: Wie möchte ein Konsument von einem Unternehmen berührt werden? Aufdringlich angegrabscht? Gönnerhaft auf die Schulter geklopft? Affektiert ein Küsschen links und rechts? Oder doch eher mit Respekt und vielleicht sogar mit etwas Distanz? Think before you touch.

Kolumne für Springer für Professionals, erscheinen am 31. Juli 2014