Social Media Marketing – Das Ende der Silos

Social Media zwingt uns, zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Marketings – das Denken in Silos – also Abteilungen, die voneinander getrennt sind und nur wenig miteinander kommunizieren – funktioniert nicht mehr. Doch benötigt Social Media Marketing ein ganzheitliches Management der relevanten Maßnahmen und Prozesse, gegliedert nicht nach den Hierachie-Ebenen und Organigrammen der Firmen, sondern nach dem Kaufentscheidungsprozess des Konsumenten – der Customber Journey. Zu diesen Thema durfte ich zusammen mit Alexander Körner, Experte für Social-Media-Management und Gründer der Beratungsfirma Lemon5, einen Artikel für die Januar-Ausgabe des Social Media Magazins schreiben.

Das Ende der Silos

Für eine gute und zufriedenstellende Kaufentscheidung hatten Produktberichte für den Käufer schon immer eine große Bedeutung. Traditionell stellen Hersteller und Händler diese Informationen zur Verfügung. Das Motiv liegt bei ihnen allerdings selten darin, den Konsumenten umfassend zu informieren. Hingegen stehen kommerzielle Leistungsversprechen – insbesondere die Werbung – eher im Ruf zu manipulieren. Die Folge: Der Konsument wird während des Entscheidungsprozesses und darüber hinaus verunsichert. Das neue Zeitalter des Social Media erfordert daher ein holistisches Konzept der strategischen Marktbearbeitung.

Das Oligopol der Marken wurde durch Social Media gebrochen.

Früher waren in der Offline-Welt die eigenen Erfahrungen und die des engsten Bekanntenkreises begrenzt. Auch die Informationen »unabhängiger Dritter« konnten in der Vergangenheit nur einen winzigen Ausschnitt aus der riesigen Menge möglicher Konsumthemen darstellen. Vor allem waren die Beurteilungen selten verfügbar, wenn man sie brauchte, denn es gab weder Computer zur Archivierung noch das Web. Hersteller besaßen daher einen gewaltigen Wissensvorsprung und zudem die Mittel, ihre Sicht der Welt mit Werbung in den Markt zu drücken. Bestenfalls war ihr Hauptziel, Vertrauen in die angebotenen Produkte und zu den Anbietern aufzubauen. Die Verbraucher waren eher passiv, es regierte die habitualisierte Kaufentscheidung – das heißt, dass Gewohnheitskäufe mit Markentreue einhergingen. Dynamik in den Markt kam nur durch den harten Wettbewerb unter den Marken. Der Kampf um Anteile wuchs stetig und erreichte in der Internet-Ökonomie eine nie geahnte Stärke. Die Markteintrittsbarrieren sanken drastisch und neue Mitgestalter sorgten für erhebliche Konkurrenz. Die Digitalisierung der Medienwelt wie Internet, Privatfernsehen und Kostensenkungen in der Druck- und Redaktionstechnik brachte zusätzlichen Wettbewerbsdruck mit sich.

 Die neue Macht der Konsumenten

Das Oligopol der Marken wurde durch Social Media gebrochen. Die entsprechenden Internet-Plattformen geben den Verbrauchern die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit Waren und Firmen einer breiten Öffentlichkeit mitzuteilen. Dies geschieht zum Beispiel in öffentlichen Verbraucher-Portalen, Blogs und Online-Foren. Auch in engeren Kreisen mit Freunden und Bekannten findet ein reger Informationsaustausch statt. Werden Social Networks wie beispielsweise Facebook genutzt, ähnelt dies im Prinzip zwar dem Plausch in der Nachbarschaft. Die Breitenwirkung ist jedoch eine ganz andere: Informationen breiten sich durch Netzwerkeffekte wie ein Lauffeuer aus, denn unsere Freunde haben wiederum Freunde und diese haben weitere Freunde und so weiter. Zu beinahe jedem Marktthema sind Erfahrungsberichte digitalisiert, archiviert und leicht zugänglich. Mit Hilfe von Suchmaschinen kann der Käufer seinen Kauf besser vorbereiten. Zum einen kann er von Anfang an aus einer größeren Angebotsvielfalt auswählen und zum anderen auf Informationen, Meinungen und Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Quellen zurückgreifen. Beides wirkt der Unsicherheit, eine Fehlentscheidung zu treffen, erheblich entgegen.

Marketing von heute

Wollen Unternehmen im Social-Media-Zeitalter erfolgreich bleiben, müssen sie verstehen, wie heute Konsumenten ihre Kaufentscheidungen treffen. Den Wegweiser für die Marketing-Maßnahmen liefert die »Customer Journey« – der Informations-, Meinungsbildungs-, Kauf- und After-Sales-Prozess des Kunden. Denn Marketing 2.0 bedeutet, den Prozess des Marketing-Managements konsequent an dieser Customer Journey auszurichten. Die idealtypische Customer Journey beginnt mit einem Bedarf beim Konsumenten oder mit einem Impuls – einem TV-Spot, einem Prospekt, einem Werbebanner. Auf den ersten Blick spielen hier immer noch die klassischen Reichweiten-Medien die führende Rolle. Doch auf den zweiten Blick lässt sich leicht erkennen, über welchen Einfluss Social Media verfügt. Von neuen Produkten erfährt der »aufgeklärte User« nicht selten über Social Networks. Da verwundert es nicht, dass von Facebook mittlerweile mehr Links ausgehen als von der Suchmaschine Google. Facebook hat sich zu einer regelrechten »Find-Maschine« entwickelt, die in ihrer Funktion, Menschen mit neuen Informationen und Anregungen zu erreichen, herkömmlichen Werbemedien in nichts nachsteht. Im Gegenteil: über Social Networks werden Produktnachrichten sogar nach unseren individuellen Vorlieben gefiltert.

Facebook hat sich zu einer regelrechten »Find-Maschine« entwickelt.

Der zweite Schritt im Kaufentscheidungsprozess besteht meist darin, die Produktaussage des Angebots zu überprüfen. Es beginnt eine gezielte Suche nach Belegen und Gegenbeweisen: Erfüllt das Produkt tatsächlich die versprochenen Funktionen? Hat es wirklich den niedrigsten Preis? Kann das Unternehmen sein Versprechen halten? Neben der eigenen Erfahrung, der des Bekanntenkreises oder Berichten unabhängiger Dritter kann sich der Verbraucher nun auch im Internet per Suchmaschine schlau machen. Die Masse an Testergebnissen, Produktempfehlungen sowie Erfahrungsberichten in Foren, Blogs und Communities ist schier unerschöpflich. Hinzu kommen Online-Angebote, Preisvergleichsportale, Rezensionen auf Shopping Sites sowie insbesondere standardisierte Verbraucherbewertungen.

Im nächsten Schritt wird die Recherche weitergeführt, nun mit dem Schwerpunkt Verifizierung: Passt das Produkt zu meinen persönlichen Bedürfnissen? Dabei erleichtern Social Networks den Abgleich der eigenen Einschätzung mit der von Bekannten oder unbekannten Dritten mit ähnlichen Lebensstrukturen und Bedürfnissen. Danach folgt in der Customer Journey die Testphase: Kann ich das Produkt ausprobieren und welchen Eindruck habe ich dabei? In der abschließenden Phase der Rückversicherung bestätigt der Verbraucher seine erste Einschätzung. Die darauf folgende Resonanz hat einen wichtigen Einfluss auf die tatsächliche Kaufentscheidung (sofern der Erwerb noch nicht ausgeführt wurde), den Wiederkauf, den Umgang mit dem Produkt, mögliche Reklamationen und – was sehr bedeutsam ist – auf Weiterempfehlungen oder Warnungen.

Erfahrungsberichte sind ein wichtiger Teil der Marktkommunikation

Diese After-Sales-Phase wird von Unternehmen nur allzu oft vernachlässigt, bestenfalls nutzen sie die Chance für Kundenbindung und Cross Selling. Allerdings ist gerade hier das Involvement der Verbraucher groß. Ihre Aufmerksamkeit und die ihres Umfelds sind in besonderem Maße auf das neue Produkt gerichtet. Gerade in den »Flitterwochen« sind Konsumenten am ehesten bereit, über ihre Erfahrungen zu berichten und gegebenenfalls Produkt-Reviews zu verfassen. Die Meinungen, die in dieser Phase publik werden, stellen im Social-Media-Zeitalter einen wichtigen Teil der Marktkommunikation dar, denn sie haben einen erheblichen und teilweise sogar maßgeblichen Einfluss auf künftige Kaufentscheidungen anderer Verbraucher.

Den Champion-Kunden finden Social Media, Suchmaschinen und E-Commerce haben die Customer Journey qualitativ und quantitativ verändert. Laut den Erhebungen der Mediaagentur Universal McCann sowie des Marktforschungsinstituts Shopper Science in den USA und Deutschland dauern die Kaufentscheidungen immer länger. Es werden mehr Informationen genutzt und es gibt eine große Vielzahl möglicher Vorgehensweisen. Ein Massenmarketing, das von dominanten Werbemedien und wiederkehrenden Mustern ausging, wird durch ein immer persönlicheres Kaufverhalten abgelöst. Diesen individuellen Kaufakten gemein ist die stärkere Orientierung an anderen Käufern, denn die Unsicherheit bei einem Kauf wird heute am besten durch den Abgleich mit dem gesellschaftlichen Umfeld und anderen Verbrauchern reduziert. Im Social-Media-Zeitalter sollten Marketing-Experten ihre Sicht auf Zielgruppen unbedingt anpassen.

 Social Media ist kein autarker Kanal.

Segmentierungen und Typologien der Kunden und potenziellen Käufer anhand von Konsumdaten sowie soziodemografischen und psychografischen Merkmalen reichen nicht mehr aus. Viel wichtiger ist es, anhand der Faktoren »Einstellung / Empfehlungsbereitschaft « und »Vernetzungsgrad« diejenigen zu identifizieren, die eine Multiplikator-Funktion innerhalb ihrer Social Networks innehaben. Sie sind die Champion-Kunden, die als Marken- und Produktbotschafter den Konsum weit über ihren eigenen Haushalt hinaus beeinflussen. Sie zu identifizieren und zu involvieren, ist eine der wichtigsten Herausforderungen im Social-Media-Zeitalter. Notwendig dazu sind leistungsfähige Forschungsansätze und automatisierte Tools wie etwa die Social Technographics von Forrester Research oder der Net Promoter Score (NPS) von Fred Reichheld.

Das Ende der Silos

Über integrierte Kommunikation wird viel geredet, doch die wenigsten Unternehmen verwirklichen sie. Der ganzheitlichen Planung der Unternehmens- und Marketing-Kommunikation steht zu oft ein Denken in Silos – Abteilungen und Spezialdisziplinen – entgegen. Ratlosigkeit stellt sich dann ein, wenn sich Unternehmen die Frage stellen, welche interne Abteilung und welche externen Kommunikationsdienstleister eigentlich die Leitfunktion in puncto Social Media haben sollen. Fakt ist jedoch, dass es keinen Bereich der Unternehmenskommunikation gibt, der nicht von Social Media beeinflusst wird: Die PR kommt nicht umhin, Blogger und Foren zu berücksichtigen. Verkaufsförderung, CRM und Direktmarketing finden über weite Teile im Social Web statt; Mitarbeiter erfahren Neuigkeiten über ihre eigenen Arbeitsgeber als erstes über Twitter; Messen und Ausstellungen spiegeln sich in den Tweets der Besucher wider und so weiter.

Die Verbraucher agieren nicht immer so, wie es sich Unternehmen wünschen.

Beachtet ein Unternehmen die Regeln des Web 2.0, so hat dies enorme Auswirkungen auf die Unternehmenskultur, die interne Arbeitsorganisation sowie die Beziehungen zu Dienstleistern und Geschäftspartnern. Hierarchien und Organigramme verlieren ihren Einfluss. Stattdessen gewinnen Prozesse und Netzwerke zwischen internen und externen Partnern jenseits der klassischen Befehlskette an Bedeutung. Derweil müssen die Prozesse so optimiert werden, dass sich die Bearbeitung der Kundeninteraktion streng an den Bedürfnissen und Erwartungen der Nutzer orientiert.

Customer Energy

In diesem Zusammenhang ist auch das Phänomen der »Customer Energy« zu beachten: das Interaktions-Potenzial der Verbraucher. Social Media entfesselt und verstärkt diese Customer Energy in besonderem Maße. Die Verbraucher agieren jedoch nicht immer so, wie es sich Unternehmen wünschen. Inhalt und Ausmaß der geteilten Produkt- und Markenwahrnehmung sind kaum kontrollierbar. Die Kunst besteht darin, die Kraft der Customer Energy für das eigene Marketing zu erschließen. Nur eine offene und wertschätzende Kommunikation unterstützt die Partizipation der Verbraucher. Diese kann wiederum zu Innovationen und Weiterempfehlungen führen. Der Nutzen für die Verbraucher: neue Ideen, gesellschaftliche Bestätigung sowie Überprüfung von Informationen und damit weniger Unsicherheit bei der Kaufentscheidung.

Social Media bedeutet Integration

Social Media ist kein autarker Kanal. Marketingmaßnahmen können nicht unabhängig von anderen Kommunikationsdisziplinen geplant und implementiert werden. Im Bereich Marktforschung sind es vor allem Social Media Monitoring und Social Media Analytics, die zurzeit das Interesse der Fachöffentlichkeit gewinnen. Am Beginn einer wirksamen Social-Media-Strategie gilt es herauszufinden, was in Social Media über eine Marke geredet wird und wie viele Menschen sich wie intensiv mit ihr in den einschlägigen Plattformen auseinandersetzen. Die Einbindung von Kunden muss zu einer Selbstverständlichkeit werden. Das gilt für alle Bereiche der marktorientierten Unternehmenstätigkeiten: Produktentwicklung, Vertrieb, Service und Support, PR sowie Markenkommunikation.

Fazit

Wenn traditionelle Machtstrukturen verfallen und noch keine neue Gesellschaftsordnung formiert wurde, helfen weder Scheuklappen noch blinder Aktivismus. Im Social-Media-Zeitalter verlieren die Eliten der Einbahnstraßen-Kommunikation rapide an Einfluss. Die neuen Herrscher sind die Kunden und Konsumenten. Im Marketing 2.0 haben Unternehmen den größeren Erfolg, die zuerst die Situation analysieren und dann mit Umsicht und Sachverstand die entsprechenden Wandlungsprozesse leiten.