Die Qual mit der Qualität

Die Mediabranche achte immer weniger auf Qualität, wird vielerorts bemängelt. Doch nicht alles, was Premium heißt, erfüllt die Ansprüche der Zielgruppe. Trotz aller Vorurteile der Media-Verantwortlichen: Die Nutzer entscheiden selbst, was Qualität ist.

Welches ist wohl das am meisten strapazierte Wort in der Werbung? Für Sie ist sicherlich nicht neu, dass es das Wörtchen n e u ist. An zweiter Stelle kommt wahrscheinlich die „Qualität“. Qualität – die wird nicht nur in jeder Produktwerbung versprochen, auch die Mediaplaner sprechen gerne von ihr. In jüngster Zeit wird sie meistens als Gegenpol zu „Kosten“ gesehen. Das Lamento vieler Media-Experten: Mediaagenturen suchen Werbeträger und Kontaktmöglichkeiten nur noch nach reinen Kostenaspekten aus – das bedeutet: Möglichst billig, entsprechend einer Geiz-ist-geil-Mentalität. Was dabei auf der Strecke bleibe, so die Kritiker, sei eben die Qualität. In dieser pauschalen Aussage sind sich Unternehmensberater, pensionierte Mediaplaner und die Vermarkter mancher Medien einig. Was hingegen mit Qualität überhaupt gemeint ist – da gehen die Vorstellungen auseinander, was man aber erst beim genauen Hinsehen bemerkt.

Sammelbegriff für Irrationales

Was bedeutet Qualität in der Mediaplanung? In der Praxis wird gerne der Sammelbegriff „qualitative Kriterien“ benutzt, um alle Entscheidungsfaktoren jenseits von Zahlen und Fakten zu beschreiben: Da kann ein Werbeträger noch so gute Reichweiten und Tausend-Kontakt-Preis (TKP) haben, wegen „qualitativen Kriterien“ fliegt er doch aus dem Plan. Viele dieser Faktoren sind vernünftig, manche aber auch reichlich irrational – von „das Papier ist so minderwertig“ bis hin zu „die Frau des Vorstands mag diese Sendung nicht“.

Doch davon abgesehen: Aus Sicht eines ordentlich arbeitenden Marketing-Entscheiders hat ein Werbeträger dann eine hohe Qualität, wenn er eine möglichst hohe Wirkung bringt. Die Idee dahinter: Nicht jeder Kontakt ist gleichwertig. Manche Kontakte sind besser als andere – weil sie zum richtigen Zeitpunkt stattfinden, exklusiv platziert sind oder in einem Umfeld erscheinen, das die Wirkungschancen erhöht. Deshalb forschen seit Jahrzehnten alle Vermarkter nach kontaktqualifizierenden Merkmalen von Werbeträgern. Doch die Kontaktqualität ist schwierig – es gibt keine einheitlichen Befunde, sondern eine Vielzahl von Modellen. Die Zahl der Alltags-Theorien, Daumenregeln und Bauchgefühlswallungen zu dem Thema ist noch viel größer: Der eine schwört auf die vierte Umschlagsseite (wegen der plakatähnlichen Qualität auch bei flüchtigen Sichtkontakt), der andere verteufelt die gleiche Platzierung, weil man mit der Zeitschrift auch Fliegen erschlagen kann – und die würden dann unschön auf der Anzeige kleben.

Qualität im Big-Brother-Haus?

Die Vermarkter vieler Medien – gerne verwenden sie auch das Wort „Premium“, um ihre Verkaufsobjekte zu beschreiben – verstehen aber in erster Linie eins unter Qualität: Ein hochwertiges redaktionelles Umfeld. Qualitätsmarken müssen auch in Qualitätsmedien präsentiert werden. Viele Werber folgen dieser Argumentation. Eine Sendung wie „Promi Big Brother“ wird dann von vielen Werbungtreibenden trotz guter Quoten und effizientem Preis-Leistungs-Verhältnis gemieden. „In einer solchen Sendung sehe ich unsere Marke nicht“ – so und ähnlich wird dann ein oft vages Gefühl ausgedrückt. Man selbst hält ein Programm für Trash oder eine Qual, deshalb passt das eigene Produkt da nicht rein.

Zwischen Erwartung und Überraschung

Hier liegt meiner Ansicht nach ein fundamentaler Denkfehler: Qualität muss man immer aus Sicht der Zielgruppe verstehen. Millionen sind fasziniert von Dschungel-Camp und Promi Big Brother – warum auch immer. Also hat diese Sendung eine bestimmte Qualität. Für die Fans ist das kein Trash – auch hier gilt wieder der alte Satz: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, der Angler muss ihn ja nicht schlucken. Ist dann Qualität gleichzusetzen mit hoher Reichweite? Sie ist sicherlich nicht der schlechteste Indikator dafür, was eine Zielgruppe fesselt.

Und müssen im Umkehrschluss Medienanbieter immer nur das liefern, was die Masse erwartet? Dabei besteht die Gefahr, dass das Publikum irgendwann vom immer gleichen gelangweilt ist. Die Kunst besteht darin, die Erwartungen der Leser, Zuschauer, Hörer und Nutzer zu erfüllen, aber immer noch einen kleinen Zahn dazu geben: Eine neue Idee, eine überraschende Darstellungsform, ein wenig berechenbares Element. Man muss den Massengeschmack auch herausfordern, ohne die Menschen zu überfordern – wie es heute zum Beispiel viele preisgekrönte US-Fernsehserien schaffen. Ein Premium-Medium zeichnet sich durch die Relevanz für seine Nutzer aus – und nicht dadurch, dass es den Vorlieben der Mediaplaner entspricht.

Kolumne, erschienen bei Springer für Professionals am 2. Oktober 2014