Werbelügen: Aufklärung oder Zumutung?

Buchkritik:

„Der große Betrug“ von Wolfgang J. Koschnick – 

Der Media- und Marketing-Experte Wolfgang J. Koschnick hat ein neues Buch veröffentlicht (der Titel wird im Interesse des Autors erst am Ende der Rezension verraten). Als Herausgeber eines Lexikons zu Media, Werbung und Marketing-Forschung hat er sich einen Namen gemacht, ebenso mit der redaktionellen Betreuung der Focus-Jahrbücher, den äußerst informativen Sammelbänden rund um Mediathemen (die von der namensgebenden Zeitschrift leider vor einigen Jahren eingestellt wurden). Was kann man von seinem neuen Buch erwarten? Auf jeden Fall eines: Viel fundiertes Fachwissen. Und Koschnicks neues Buch entspricht den Erwartungen: Es behandelt eine Vielzahl von relevanten Werbe- und Media-Themen und strotzt von Erkenntnissen aus der nationalen und internationalen Forschung. Das Buch enthält viele kürzere und längere Beiträge, die essentielle Fragen eines Marketing-Entscheiders berühren: Was bringt es, mit Prominenten zu werben? Verkauft kreative Werbung? Welche Werbewirkung bringen Sex, Humor oder Schock-Bilder?

Hinzu kommen Hintergrundartikel zu speziellen Werbewirkungs-Modellen – von der AIDA-Formel bis zur Neuroforschung. Und damit nicht genug, auch gesellschaftlich kontroverse Themen werden behandelt: Manipulation, Essstörungen, Alkoholwerbung. Es gibt viel lesenswertes, fakten- und kenntnisreich recherchiert und ohne viel Wissenschaftsjargon beschrieben. So weit, so gut. Es hätte ein großartiges Buch werden können. Leider ist es das nicht geworden.

Vielleicht stand der Autor sich dabei selbst im Wege, da das Buch kein wirkliches Konzept, keine Struktur und vor allem keine klare Perspektive hat. Drei Aspekte machen die Lektüre manchmal schwer verdaulich – hier sind sie aufsteigender Wichtigkeit erwähnt. Erstens: Koschnick gibt den gesammelten Beiträgen keine Struktur oder innerlichen Zusammenhang, sondern reiht sie nacheinander auf – der Logik seines Lexikons folgend.

Doch für ein Lexikon ist das Buch nicht umfassend genug. Auch wenn viele Leser heute lieber kleine Häppchen als mehrgängige Menüs bevorzugen, so lädt das Buch nicht wirklich zum Stöbern und blättern ein – die alphabetische Anordnung und Rubrizierung erscheint gar zu willkürlich, viele Buzzwords wie „Brandwashed“ oder „Moskito-Marketing“ erscheinen nur mit einen Verweis zu Überblicksartikeln, liefern aber keine Definitionen. Warum die Form eines Lexikons wählen, wenn es eigentlich eine Artikel-Sammlung ist? Wäre hier nicht eine Struktur mit Kapiteln und Schwerpunktthemen leserfreundlicher gewesen als ein Suchspiel nach Stichworten?

Zweitens: Auch wenn offensichtlich ist, dass der Autor ein immenses Fachwissen hat, gibt es in dem Buch keine einzige Quellenangabe, keinen Literaturhinweis, nur wenige Zitate von anderen Autoren. Man kann argumentieren, dass so etwas den Lesefluss hemmt, aber schade ist es schon. Wer tatsächlich noch tiefer in die Materie einsteigen will, muss googeln – oder das mittlerweile vergriffene Lexikon des gleichen Autors zu Rate ziehen (Koschnick kennt nämlich alle seine Quellen). In Zeiten, in denen selbst Politiker über Fragen des wissenschaftlichen Zitierens stolpern und das Internet ein Sumpf quellenlosen Wissens ist, wären ein paar Literaturhinweise wünschenswert gewesen. Doch das sind mitunter Geschmacksfragen.

Der dritte Punkt ist ärgerlicher: Koschnick schreibt alle Artikel in einem Tonfall des empörten, allwissenden Aufklärers, der die „Lügen und Irrtümer über Werbung“ entlarvt. Dabei zeit sich eine Argumentation mehr oder minder konsequent durch alle Texte: Werbung wirke nicht, Werbeleute hätten keine Ahnung, Werbeforschung bringe nur einen Haufen Unsinn hervor. Die Sprache, in der dies geschrieben wird, ist nicht nur salopp, sie wirkt auf mich manchmal sogar unflätig – völlig im Gegensatz zu den vielen richtigen Fakten und Erläuterungen. Warum diese vorgeschobene Anti-Werbehaltung, wenn man kein Anti-Werbe-Traktat schreiben will, sondern eine Sammlung von Fachaufsätzen?

Für einen Laien sind die Themen zu speziell, für Werbeexperten ist diese auf Krawall gebürstete Sprache und die oft einseitigen Pauschalurteile oft eine Zumutung. Warum schreibt der Autor nicht ein wirklich werbekritisches Buch für souveräne Konsumenten, wenn es ihm eine Herzensangelegenheit sein sollte? Es ist schade, dass so viel Fachwissen und auch einige zu recht skeptische Anmerkungen in einem ungeordneten Steinbruch von herabprasselnden Pamphleten verschüttet werden. „Der große Betrug“ – so der Titel des Buches – passt dann irgendwie doch, nur ist eher der Leser betrogen.

Wolfgang J. Koschnick: Der große Betrug – Die hartnäckigsten Lügen und Irrtümer über Werbung; Tectum Verlag, Marburg 2013, 372 Seiten, 24,95 €, ISBN 978-3-8288-3207-7