Der Medizinmann des globalen Dorfes

Buchkritik:

„Marshall McLuhan“ von Douglas Coupland – 

Marshall McLuhan ist eine Legende. Der kanadische Literaturwissenschaftler war nicht der erste, der sich in den 50er und 60er Jahren Gedanken zu den damals noch neuen Medien wie Fernsehen, Radio und Computer machte. Er war aber der erste, der damit ein Massenpublikum erreichte, da er die sich veränderte Gesellschaft mit pointierten Formulierungen beschrieb, die von den Medien, die er analysierte, begierig aufgenommen und verbreitet wurden. „The Medium is the Message“ war sein erfolgreichster Geistesblitz.
Andere waren: heiße und kalte Medien, wie der Buchdruck das lineare Denken in der „Gutenberg Galaxis“ bestimmt, wie das Fernsehen uns zurück in eine Stammesgesellschaft schickt, wie wir alle dank TV und Telegraphen in einem „globalen Dorf“ leben. Weniger bekannt, aber dafür heute umso aktueller ist sein Satz: „Der Konsument ist der Inhalt“. Vieles, was McLuhan beschrieben hat, ist heute lebendiger denn je, dank des Internets, das McLuhan nicht mehr erlebt hat (er starb 1980). Jetzt ist – rechtzeitig zu McLuhans 100. Geburtstag – die deutsche Übersetzung einer Biographie erschienen, die der Schriftsteller Douglas Copeland bereits 2009 veröffentlicht hat.

Coupland ist Romanautor, mit McLuhan hat er sich beschäftigt, weil beide in der kanadischen Provinz aufgewachsen sind und auch sonst einige Gemeinsamkeiten haben. Auch Coupland wurde mit seinem Buch „Generation X“ kurzzeitig als Visionär, Trendguru und Analyst eines sich veränderten Zeitgeistes von den Medien gefeiert. Seine Herangehensweise ist unkonventionell: Weder hat er eine klassische Biographie geschrieben, noch handelt es sich um eine Auseinandersetzung mit den Ideen und Werken McLuhans. Das Buch erinnert in einigen Stellen einer Collage: seitenlange Anagramme, Zitate aus Ebay, eine Item-Batterie aus einem Fragebogen zur Diagnose von Autismus – bis hin zu Kapiteln aus Couplands neueren Roman „Generation A“.

Das Fragmentarische und die Verknüpfung so vieler unterschiedlicher Stilmittel und Themen sind aber durchaus im Sinne McLuhans. Überraschende Erkenntnisse gibt es allerdings nicht – der Autor hat auch nicht selbst recherchiert, seine wichtigste Quelle – zumindest kokettiert er ständig damit – ist Wikipedia. Die Lebensgeschichte folgt eng den Fakten, wie sie aus anderen McLuhan-Biografien bekannt sind. Erzählt ist sie sehr unterhaltsam, mit einer Mischung aus Bewunderung und skeptischer Distanz.

Was aber eindeutig zu kurz kommt, ist die Welt der Ideen, die McLuhan in seinen Büchern, Aufsätzen, Interviews und sogar auf einer Schallplatte ausbreitete. Sie scheint nur manchmal auf zwischen den Anekdoten, die der Autor aneinanderreiht. McLuhans Werk ist durchaus sperrig, weil er seine Erkenntnisse eher aphoristisch, assoziativ und wenig strukturiert präsentierte, weshalb viele Kritiker in ihm eher ein Popkultur-Phänomen sehen.

Auch Coupland staunt, warum gerade der steife, zum Katholizismus konvertierte Literaturwissenschaftler aus der kanadischen Prärie zum Held der Technologie- und Massenkultur wurde, obwohl er die von ihm analysierten Phänomene eher ablehnte und sie als etwas Böses ansah. Es ist zu hoffen, dass jetzt zu seinem 100. Geburtstag weitere Bücher und Artikel im Feuilleton seine brillanten Ideen freilegen, damit sie uns auch heute wieder zur Inspiration dienen können. Couplands Buch schafft es zumindest, wieder etwas Neugierde auf den Mann zu wecken, der schon Mitte des letzten Jahrhunderts unsere mediale Zukunft sah.

Douglas Coupland: Marshall McLuhan – Eine Biographie; Tropen bei Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2011, 222 Seiten, 18,95 €, ISBN 978-3-608-50306-7