Einflussreich gegen Würmer und Armut

Buchkritik:

„Influencer – The Power To Change Anything“ von Kerry Patterson –  

Influencer – das sind Menschen, die es schaffen das Verhalten von anderen erfolgreich zu beeinflussen. Nun schrillen bei einigen schon die Alarmglocken: Geht es hier um Manipulation? Sollen mit irgendwelchen halbseidenen Tricks (Hypnose, NLP, Verkaufsförderung) ahnungslose Bürger dazu gebracht werden, Sachen zu tun, die sie eigentlich nicht wollen?

Moment, erst einmal Ruhe bewahren! Beeinflussen ist eine alltägliche Geschichte – Eltern wollen ihre Kinder dazu bringen, Spinat zu essen, Lehrer ihre Schüler zum Vokabellernen animieren und ihr Arzt versucht ihnen mehr Bewegung schmackhaft zu machen. Einige Eltern, Lehrer oder Ärzte schaffen es besser als andere, bei ihren Klienten das gewünschte Verhalten tatsächlich zu stimulieren.

In dem englischsprachigen Buch „Influencer – The Power To Change Anything“ versucht ein Kollektiv von fünf Autoren diesem Phänomen auf den Grund zu gehen: Was macht einen Menschen zu einem erfolgreichen Influencer? Sie finden heraus, dass es nicht um Persönlichkeit oder Charisma geht, sondern um eine gute Problemanalyse und das Anwenden der richtigen Strategien. Wenn man jemanden verändern will, so ist es wenig sinnvoll, das komplette Leben auf den Kopf stellen zu wollen.

Stattdessen sollten genau die Verhaltensweisen identifiziert werden, die wirklich zu einer Veränderung führen. Beim Lieblingsbeispiel der Autoren, dem Ausrotten des Schweinewurms (einen üblen Parasiten, den Menschen in Afrika durchs Trinkwasser aufnehmen), sind solche Verhaltensweisen das Filtern von Brunnenwasser durch ein Tuch und das Fernhalten von infizierten Nachbarn von der Wasserstelle.

Einsicht oder abstrakte Absichtserklärungen bringen wenig, diese speziellen Verhaltensweisen müssen eingeübt und verstärkt werden. Wie so etwas geschehen kann, versuchen die Autoren in vielen Beispielen zu erläutern. Dabei hilft ihnen ein einfaches Modell: Menschen müssen motiviert sein, ein Verhalten auszuführen und sie müssen dazu in der Lage sein. Gute Influencer beeinflussen also „Motivation“ und „Ability“ – das geht auf drei Ebenen: Persönlich, sozial und strukturell. Daraus ergeben sich sechs Felder, die in jeweils einem Kapitel behandelt werden, von „Mache das unattraktive erstrebenswert“ bis zu „Verändere die Umwelt“.

Keine Angst, bei „Influencer“ handelt es sich nicht um einen Psycho-Ratgeber, aber auch nicht um ein herkömmliches Marketing- oder Management-Buch. Die Beispiele für erfolgreiches Einflussnehmen kommen eher aus den sozialen Bereich: Von dem Wiedereingliedern Straffälliger bis hin zu dem Kampf gegen den Schweinewurmbefall – hier dient die Einflussnahme dem Wohl der Menschen, die beeinflusst werden.

Den Charme des Buches macht es auch aus, dass hier nicht nur abstrakte Case Studies präsentiert werden. Vielmehr werden möglichst anschauliche Geschichten erzählt, ohne Scheu auch menschliche Schicksale zu schildern – etwa das der indischen Frauen, die es durch Mikrokredite und ein Überwinden traditioneller Verhaltensnormen geschafft haben, selbständig ihre Familien zu ernähren. Da fällt es kaum auf, dass das theoretische Fundament eher etwas dünn ist: Wenn von den „Meistern der Beeinflussungsstrategien“ gesprochen wird, handelt es sich meist um allseits bekannte Forscher und Autoren. Sozialpsychologen wie Albert Bandura und Stanley Milgram werden hier als Gurus vorgestellt, ihre Jahrzehnte zurückliegende Forschung, die schon seit geraumer Zeit in den Kanon aller Psychologie-Lehrbücher Eingang gefunden hat, werden als brandneue Erkenntnisse verkauft.

Viele Leser würden das als „typisch amerikanisch“ beschreiben, aber diesem Stillmittel muss man zu Gute halten, dass es zu lesbaren Geschichten führt. Dadurch werden vielleicht gerade jene Leser ins Boot geholt, die ansonsten vor akademischen Lehrbuch-Texten zurückschrecken. Auch wenn das Buch keine direkten Anweisungen in Sachen Marketing liefert, hilft es doch sehr, das im Augenblick gerne heraufbeschworene Phänomen der Mundpropaganda (neudeutsch auch „Word-of-Mouth“ oder einfach „WOM“) besser zu verstehen. Jetzt müssen wir nur noch auf eine deutsche Übersetzung von „Influencer“ warten.

Kerry Patterson / Joseph Grenny / David Maxfield / Ron McMillan / Al Switzler: Influencer – The Power To Change Anything; McGraw-Hill Professional, New York 2008, 300 Seiten, ca. 17,50 €, ISBN 978-0-07-148499-2

UPDATE 2021:

Die Autoren verstehen unter Influencer natürlich etwas anderes als die Social-Media-Stars von heute. Influencer sind für sie Menschen, die tatsächlich in ihren sozialen Umfeld direkt Menschen beeinflussen – die klassische Kommunikationswissenschaft würde hier von Meinungsführern oder Opinion Leaders sprechen. Die spannende Frage ist: Wie ähnlich sind die Instagramer und YouTuber von heute den klassischen Influencers und Meinungsführern?