Liebe Deinen Übernächsten

Buchkritik:

„Connected!“ von Christakis & Fowler –  

Dass sich Ehepartner nach Jahrzehnten des Zusammenlebens mehr und mehr aneinander angleichen, das ist eine Erkenntnis aus unserer Alltagserfahrung (von Herrchen und Hund sagt man übrigens das gleiche). Dass wir durch unsere Freunde und Nachbarn geprägt werden, ist auch keine wirkliche Neuigkeit. Aber dass wir auch von den Freunden unserer Freunde beeinflusst werden, egal ob wir diese kennen oder nicht, ist doch für viele eine überraschende These.

Sie stammt aus der Erforschung der sozialen Netzwerke, eine Sparte der Sozialwissenschaft, die in jüngster Zeit wieder stark an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Der Grund für das öffentliche Interesse ist – wie könnte es anders sein – mal wieder das Internet. Denn die Social Networks wie Facebook oder MySpace faszinieren immer mehr Online-Nutzer. Doch die Networks in der Online-Welt sind nur ein Teil der Netzwerke, in denen wir alle irgendwie eingebunden sind.

Die amerikanischen Forscher Nicholas Christakis und James Fowler haben ein sehr lesenswertes Buch über die aktuelle Netzwerkforschung geschrieben. Darin zeigen sie, wie sich Verhaltensweisen wie epidemisch weiterverbreiten, seien es nun Essgewohnheiten, Selbstmordgedanken, Lachanfälle, Sexpraktiken oder das glücklich sein.

Wichtige Begriffe werden erläutert, etwa die Transitivität, die etwas über die Dichte einer Gruppe aussagt: Unsere Freunde sind meist auch untereinander befreundet. Oder die „Weak Ties“ oder schwache Glieder: Das sind Beziehungen zu Menschen am Rande eines Netzwerks, die auch Beziehungen zu anderen Gruppen haben und deshalb eine wichtige Funktion beim Weiterleiten von Informationen haben. Die Autoren berichten von ihren eigenen Forschungen, die sich mit so spannenden Fragen beschäftigen, ob wir tatsächlich etwas beeinflussen können, wenn wir zur Wahl gehen (nur um es vorweg zu nehmen: Ja, denn unsere Wahlteilnahme erhöht die Chancen, dass auch unsere Freunde und deren Freunde zur Wahl gehen).

Das Buch ist eine wichtige Grundlagenlektüre für jeden, der kompetent über Mundpropaganda (neudeutsch: Word-of-Mouth) und Social Networks mitreden will, auch wenn das Buch alles andere als ein Marketing-Ratgeber ist. Die Methoden der Netzwerk-Analytiker werden nur oberflächlich behandelt, speziell die Erläuterung der angewendeten mathematischen Verfahren sparen die Autoren aus. Ausführlicher werden allerdings evolutionstheoretische Ursachen für unser Sozialverhalten ausgebreitet. Und es gibt jede Menge anschauliche Beispiele, von der Website „Where is George?“, auf der die Reise von Dollar-Noten nachverfolgt wird, über den Filz im US-Senat, bis zu der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten.

„Connected!“ ist also ein Buch, das uns hilft, unseren facettenreichen Alltag besser zu verstehen – und alles andere als ein neues Jubel-Traktat über Social Media oder die Segnungen des Community-Marketings.

Nicholas A. Christakis / James H. Fowler: Connected! – Die Macht sozialer Netzwerke und warum Glück ansteckend ist; S.Fischer Verlag; Frankfurt am Main 2010, 430 Seiten, 22,95 €, ISBN 978-3-10-011350-4