Was wissen wir über das Unbewusste?

Buchkritik:

„Das kluge Unbewusste“ von Ap Dijksterhuis –  

Das Unbewusste ist ein Forschungsgebiet mit einer bewegten Vergangenheit. Es gab Perioden in der Geistesgeschichte, da beschäftigte man sich nur wenig mit unseren unbewussten mentalen Prozessen. Im 20. Jahrhundert gab es hingegen eine Konjunktur des Unbewussten, gefördert durch die Popularisierung von Sigmund Freuds Lehren. Auf dieser Welle reitend erreichte es in den 50er Jahren den Mainstream der Konsumentenforschung: Die Motivforschung versuchte, mit psychoanalytischen Kategorien, den verborgenen Wünschen der Verbraucher auf die Schliche zu kommen. Doch auch diese Welle ging vorüber, neue Theorien und Ideen kamen auf, die sich mal mehr, mal weniger mit unbewussten Geistesleistungen beschäftigten.

Gerade ist das Unbewusste wieder hoch im Kurs: Kaum eine Präsentation, in der nicht das Bild vom Eisberg bemüht wird. Denn beim Eisberg schaut auch nur die Spitze aus dem Wasser (d.h. ragt ins Bewusstsein), der größte Teil liegt aber unsichtbar unter der Wasseroberfläche. Marktforscher und Markenstrategen hüllen das gute, alte Unbewusste in neue Begriffe – sie sprechen vom Autopiloten oder impliziten Lernen. Doch was wissen wir wirklich über das Unbewusste?

Der holländische Psychologe Ap Dijksterhuis hat ein sehr lesbares Buch verfasst, in dem er den Wissensstand aufbereitet. Nach einem kurzen historischen Rückblick – bei dem noch einmal klar wird, dass Philosophie und Psychologie in der Nachfolge von Descartes sich sehr auf den (bewussten) Verstand fokussierten – liefert der Autor eine Vielzahl von Befunden aus experimentellen Studien, die das „moderne Unbewusste“ beschreiben. Dieses hat wenig mit Freuds „Es“ zu tun, sehr viel ab er mit automatischen Prozessen unseres Gehirns. Viele wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es zum Beispiel zur unbewussten Wahrnehmung – die Zahl der unbewusst verarbeiteten Reize übertrifft die der bewussten um ein Vielfaches. Heikler sind jedoch unbewusste Meinungen und unbewusste Entscheidungen. Für beides gibt es ebenfalls experimentelle Belege.

So werden unsere Wahrnehmung und unser Verhalten oft durch unbewusste Reize in bestimmte Bahnen gelenkt – die Psychologen sprechen von Priming. Versuchspersonen laufen z.B. langsamer und sind vergesslicher, wenn man sie zuvor unbewusst auf das Thema „hohes Alter“ eingestimmt hat. Und manche kulturell bedingten Vorurteile sind in unseren Meinungen fest verankert, auch wenn wir bewusst das Gegenteil glauben. Viele der Befunde und Modelle dürften einigen Lesern bereits aus der populärwissenschaftlichen Literatur bestens vertraut sein, nur gelegentlich werden neue und spannende Experimente beschrieben – etwa eine Studie über den Zusammenhang von US-Senatswahlen und dem Aussehen (um genauer zu sein: Der wahrgenommenen Kompetenz) der Kandidaten.

Wenn die Studien fehlen, spekuliert der Autor auch ein bisschen. Das Thema Werbung kommt übrigens nur gelegentlich zur Sprache – etwa in dem Kapitel zur „Subliminalen Werbung“. Hier räumt Dijksterhuis (wie vor ihm schon viele andere) mit den Legenden um unterschwellige Werbeeinblendungen auf: Trotz vieler Forschung zur unterschwelligen Wahrnehmung gibt es keine stichhaltigen Belege, dass durch solche unbewusst wahrgenommenen Botschaften komplexe Verhaltensweisen beeinflusst werden können. Doch davon abgesehen gibt es doch eine Reihe unbewusster Prozesse, die für das Verständnis von Kaufentscheidungen relevant sind. Wer sich über „implizites Marketing“ (Dijksterhuis verwendet den Begriff „implizit“ übrigens an keiner Stelle seines Buches) eine Meinung bilden will, der tut gut daran, sich durch die Lektüre von „Das kluge Unbewusste“ mit den Forschungsstand vertraut zu machen.

Eine lebenspraktischen Ratschlag kann man dem Buch übrigens auch noch entnehmen, wenn auch nur sehr beiläufig (der Neurowissenschaftler Gerhard Roth weist uns im Vorwort darauf hin): Wenn man über eine komplexe Entscheidung noch eine Nacht schläft, arbeitet unser Unbewusstes an einer abgewogenen Lösung, die zumeist besser ist, als wenn man krampfhaft über das Problem nachdenkt. „Abwägen ohne Aufmerksamkeit“ wird dieses Vorgehen genannt, im Alltag spricht man auch von Intuition. Auch wenn das Buch keine direkten Tipps zum intuitiven Entscheiden gibt, so hilft uns die Lektüre vielleicht doch, die unbewussten Prozesse in unserem Kopf besser zu verstehen.

Ap Dijksterhuis: Das kluge Unbewusste – Denken mit Gefühl und Intuition; Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2010, 250 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-608-94560-7