Bei Werbewirkung reden wir oft aneinander vorbei

Wir sammeln immer mehr Daten zur Werbewirkung, aber scheinen immer weniger zu wissen. Für das Fachportal Marktforschung.de habe ich einige Gedanken zum Umgang mit Werbewirkungs-Daten aufgeschrieben.

Wir können einzelne Indikatoren mehr oder minder präzise messen, aber das Konstrukt Werbewirkung nicht in seiner Ganzheit erfassen.

Oft tappen wir bei der Beschäftigung mit Werbewirkung in Fallen und reden aneinander vorbei. Hier ist es wichtig, einen klaren Kopf zu behalten, um Marktforschung richtig zu nutzen und bessere Entscheidungen im Marketing zu treffen. Wir können Werbewirkung nicht einfach erfassen, sondern nur vermittelt über Indikatoren – doch da haben wir das Elefanten-Problem. Was das ist, können Sie im vollständigen Artike auf marktforschung.de nachlesen oder gleich hier….

 

Elefanten im Nebel

Von Dirk Engel, Autor und Dozent an der Akademie für Marketing-Kommunikation für marktforschung.de Dossier

Wir sammeln immer mehr Daten zur Werbewirkung, aber scheinen immer weniger zu wissen. Doch nur, weil wir in Fallen tappen und aneinander vorbei reden. Hier ist es wichtig, einen klaren Kopf zu behalten, um Marktforschung richtig zu nutzen und bessere Entscheidungen im Marketing zu treffen.

 

Die Werbewirkung ist schon lange im Blickwinkel der Marktforscher, doch das Interesse am Thema scheint sogar noch zu steigen. Die Zahl der Studien und Daten wächst an, genauso wie die Zahl der Werbe- und Kommunikationsmöglichkeiten. Mit neuen Methoden – von der Kernspintomografie bis zur ethnografischen Rund-um-die-Uhr Beobachtung – wird dem Untersuchungsgegenstand zu Leibe gerückt. Seltsamerweise wächst dadurch aber eher die Unsicherheit bei den Marketing-Praktikern. Das zeigt sich schon daran, dass Werbewirkung oft für Schlagzeilen herhalten muss: Die Konferenzprogramme und Fachblätter sind voll mit provokanten Thesen, wie zum Beispiel „Vergesst AIDA“, „Vergesst die Werbeerinnerung“, „Das Internet liefert die härtesten Zahlen“ und so weiter und so fort… Über Werbewirkung und ihre Messung wird viel spekuliert und postuliert. Alles läuft auf eine Frage hinaus: Was wissen wir wirklich über Werbewirkung?

Rosen für den Winzer

Oft reden die Protagonisten der Debatte aneinander vorbei. Nicht jeder, der von Werbewirkung redet, meint das gleiche. Und die Zahl der Spezialisten ist groß: Kreative, Strategic Planner, Controller, Marktforscher, Mediaagenturen, Wissenschaftler, Web-Analytiker, Dialogmarketing-Experten, Werbe-Vermarkter – sogar Hirnforscher und Volkswirtschaftler geben ihren Senf dazu. Es schadet nicht, einmal zu klären, über was wir eigentlich reden.

Das Problem bei der Werbewirkung ist: Es handelt sich um ein gedankliches Konstrukt, dass sich nicht direkt beobachten lässt. Deshalb können wir uns dem Phänomen nur nähern, in dem wir Indikatoren betrachten. Indikatoren haben wir auch in anderen Lebensbereichen: Winzer pflanzen im Weinberg Rosen an, weil diese schneller auf Schädlinge und Krankheiten reagieren – wenn es den Rosen schlecht geht, wird es dem Wein auch bald schlecht gehen, also höchste Zeit, etwas zu tun. Das ist die praktische Funktion von Indikatoren: Sie sagen uns rechtzeitig, dass wir handeln müssen – und im besten Fall geben sie sogar Hinweise, in welche Richtung wir uns bewegen müssen.

Der einschüchternde Elefant

Bei der Werbung haben wir es allerdings mit dem Elefanten-Problem zu tun. Stellen Sie sich vor, in einem abgedunkelten Raum wird ein Elefant gestellt und danach kommen fünf Wissenschaftler dazu, die noch nie vorher einen Elefanten gesehen haben, und müssen den Elefanten beschreiben, nur anhand dessen, was sie in der Dunkelheit ertasten. Der Erste fasst den Stoßzahn an und sagt: „Der Elefant ist hart und spitz, wie ein Speer“. Der Zweite umfasst ein Bein und sagt: „Der Elefant ist wie ein Baum“. Der Dritte hält den Rüssel in der Hand und meint: „Eindeutig, der Elefant ist eine Schlange!“. „Nein, eher eine Art großes Lotus-Blatt“ meint der Vierte, der das Ohr befingert. Schließlich klettert der Fünfte auf den Rücken des Tieres und ruft: „Also wenn der Elefant kein Hügel ist, dann weiß ich auch nicht weiter.“

Wer hat nun Recht? Alle, denn jeder hat seinen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit – seinen Indikator – präzise erfasst und beschrieben. Keiner, denn alle haben die Gesamtheit des Tieres, sozusagen das „Elefantenhafte“, nicht erkannt.

Das gleiche Dilemma haben wir bei der Werbewirkung: Wir können einzelne Indikatoren mehr oder minder präzise messen, aber das Konstrukt Werbewirkung nicht in seiner Ganzheit erfassen. Die Forscher in unserem Elefanten-Beispiel haben es sogar einfacher: Sie schalten einfach das Licht an und sehen das Tier in seiner majestätischen Elefanten-Gestalt. Bei der Werbewirkung können wir das nicht, wir tappen immer im Dunkeln und müssen uns auf die uns bekannten Indikatoren verlassen. Das mag viele Praktiker einschüchtern – sie schreien deshalb nach mehr Daten – also mehr Indikatoren. Die Kontur des Elefanten wird dadurch aber nicht geschärft, im Gegenteil: Neben bewähren marktforscherischen Indikatoren wie Werbeerinnerung, Image, Markenbekanntheit usw. kommen noch viele andere hinzu: ökonomischen Kennzahlen, Web-Daten, impliziten Messungen, Verhaltensbeobachtungen, Blickverläufen, Bestellungen, Klickraten, Social-Media-Posts, Google-Suchanfragen, Aktienkursen, Hautleitwiderstand, Pupillenweitung, Reputations- und Resonanz-Werte, Net Promoter Scores, morphologische Wirkungseinheiten, limbische Belohnungsmuster, Mouse-Tracking, Hirnströme, Blutzirkulation und wer weiß was noch alles. Da verschwindet der Elefant im Nebel der Messwerte.

Fünf Missverständnisse der Werbewirkung

Aus diesem Grundproblem ergeben sich einige häufige Missverständnisse bei der Beschäftigung mit dem Thema Werbewirkung. Wir können sie nicht alle behandeln, aber fünf typische Fehler möchte ich hier vorstellen.

Erstens: Wir dürfen die Indikatoren nicht mit dem Gesamtphänomen verwechseln. Wenn der Werber Thomas Sterath sagt, die Werbeerinnerung sei wertlos, weil es falsch sei, dass auf sie die Werbeüberzeugung und der Kaufakt folge, scheint er den Indikator und die Sache an sich zu vermischen. Das wäre so, als wenn der Winzer sagen würde: Ignorieren wir den Zustand der Rosen, denn aus schönen Rosen kann man keinen Wein machen. Ebenso gefährlich: Es werden die Werbemaßnahmen bevorzugt, die einen schnellen Einfluss auf einen der Indikatoren haben, unabhängig von der tatsächlichen Wirksamkeit. Das ist KPI-Kosmetik: Ein Wert wird kurzfristig beeinflusst, damit er auf dem Papier besser aussieht (besonders wichtig, wenn daran eine erfolgsabhängige Vergütung hängt). Doch dadurch werden schlimmstenfalls längerfristig reagierende Indikatoren wie etwa Image und Markenwert beeinträchtigt.

Zweitens: Es gibt nicht den einzigen Schlüssel-Leistungsindikator (oder auf Deutsch: KPI). Alle Indikatoren und Kennzahlen geben nur einen Teil der Realität wieder. Wir kommen nicht drum herum, mehrere im Blick zu behalten, selbst wenn diese sich in unterschiedlicher Richtung entwickeln. Die Aussage, im Internet sei Werbewirkung genauer messbar, ist deshalb falsch. Es gibt leicht messbare Indikatoren in der digitalen Welt, aber sie bilden nur einen Teil des Werbewirkungsprozesses ab. Und nur weil man diese digitalen KPIs leicht messen kann, müssen sie noch nicht automatisch die relevanten sein.

Drittens: KPIs zur Werbewirkung helfen uns nicht weiter, solange wir kein Modell haben, wie diese Indikatoren zusammenhängen und wie unsere Werbemaßnahmen sie beeinflussen. Deshalb reicht es nicht nur aus, Werbeerfolg zu messen, sondern wir müssen auch die Mechanismen von Werbewirkung verstehen. Das ist leider keine banale Aussage, denn es scheint, dass die Datenmengen und das Verständnis, was diese Daten bedeuten, nicht im gleichen Maße wachsen. Deshalb sind Grundlagenforschung und Theorien wertvoll, weil sie uns helfen, die Messwerte in eine Beziehung zu setzen.

Viertens: Modelle zur Werbewirkung müssen nicht die Realität perfekt widerspiegeln. Eine Karte der Stadt München, die jedes Detail perfekt abbildet, wäre genauso groß wie die Stadt selbst – und damit etwas unhandlich (versuchen Sie mal, sie zusammenzufalten!). Die Wissenschaft soll durchaus danach streben, die Wahrheit herauszufinden, doch in der täglichen Planung geht es um etwas anderes: Entscheidungen zu treffen. Werbewirkungsmodelle und Indikatoren helfen uns dabei, die richtigen Entscheidungen schneller zu treffen, aber sie bilden nicht die komplexe Realität ab – trotzdem sind sie nützlich. Ein Modell wie AIDA – weit über 100 Jahre alt – mag die Wirklichkeit nicht erklären, aber es kann uns helfen, bei der Werbeplanung auf wichtige Aspekte zu achten – was zu besseren Entscheidungen führt. Deshalb ist die letzte Arie für AIDA noch lange nicht gesungen…

Statt mehr Daten bessere Entscheidungen

Fünftens: Die Forderung nach mehr, detaillierteren und schnelleren Daten zielt in die falsche Richtung. Es kommt nicht darauf an, mehr Daten schneller zu bekommen, sondern Entscheidungen schneller und besser zu treffen. Datensammeln und Analyse darf nicht zum Selbstzweck werden. Werbewirkungsforschung muss die relevanten Indikatoren rechtzeitig liefern, damit sie in die Entscheidungsprozesse einfließen können. Immer umfassendere Dashboards führen nicht zu guter Werbung, solange es an kompetenten Entscheidern fehlt, die die richtigen Daten klug zu nutzen wissen.

Wenn wir diese fünf Fallen der Werbewirkungsforschung beachten, haben wir zwar immer noch nicht den Elefanten komplett verstanden, aber wir können besser mit den Daten der Wirkungs- und Erfolgskontrollen umgehen. Und wir reden vielleicht nicht mehr so oft aneinander vorbei. Werbewirkungsforschung ist nicht nur ein Thema für Spekulationen und Sonntagsreden, sondern ein Steuerungsinstrument für bessere Marketing-Entscheidungen. Dass nach wie vor große Teile des Elefanten in Dunkeln sind, sollte uns nicht abschrecken – keine Angst vor großen Tieren!

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