Konsumkritik oder Etikettenschwindel?

Buchkritik:

„Brandwashed“ von Martin Lindstrom –  

Etwas verwirrend ist das schon: Martin Lindstrom, der Marketing-Berater der in seinen Erfolgsbüchern „Buy-ologie“ und „Brand Sense“ euphorisch die Segnungen des Neuromarketing bejubelte, stimmt in seinem neuen Werk ganz andere Töne an: Der Titel „Brandwashed“ soll bewusst an den Begriff Gehirnwäsche erinnern. Hier – so der erste Eindruck – plaudert ein Insider die Tricks aus, mit denen die großen Konzerne uns Verbraucher tagtäglich manipulieren.

Was erwartet den Leser? Ein Werk der Aufklärung, der Kapitalismuskritik, des Verbraucherschutzes? Ein Nachfolger des Klassikers „Die geheimen Verführer“, in dem der Journalist Vance Packard vor mehr als fünfzig Jahren die Manipulationsmethoden der Werbeindustrie aufdeckte und das noch Jahrzehnte später immer wieder zitiert wurde, wenn man etwas Kritisches über die Branche sagen wollte? Und nun soll es eine Neufassung der „Geheimen Verführer“ geben, ausgerechnet von einem Propagandisten des Marketings, der große Unternehmen bei ihrem Manipulationshandwerk unterstützte, dicke Honorare dafür bekam und alles auch noch in Bestsellern ausbreitete? Ist hier ein Saulus zum Paulus geworden? Schwört hier jemand seiner Profession ab und wechselt die Seiten?

Nun ja, Buchtitel, Klappentext und das Vorwort des Fast-Food-Kritikers Morgan Spurlock (der den Film „Super Size Me“ nach Michael-Moore-Machart drehte) erwecken stark den Eindruck. Doch erinnern wir uns an die Blaupause des neuen Buches, die „Geheimen Verführer“. Marktforscher-Legende Ernest Dichter hat immer gerne betont, wie dankbar er seinem Kritiker Vance Packard war – er widmete ihm sogar einige seiner Bücher. Den Packard hat ein Zerrbild des allmächtigen Marketings gezeichnet, das mit Marktforschungsmethoden und Motivanalysen erfolgreich in das Unbewusste der Verbraucher vordringen konnte. Das glaubten nicht nur die Konsumkritiker, sondern auch die Unternehmen, die wiederum zu Dichter rannten, um genau diese allmächtigen Instrumente für ihre Geschäfte einzusetzen. Der Kritiker Packard wurde somit wohl oder übel zum Promotor des Motivforschers Dichter, mehrte seinen Ruhm und schuf ihm eine Aura des Erfolges – unabhängig, wie zutreffend das gezeichnete Bild wirklich war.

Martin Lindstrom, ein kluger Marketing-Kopf, hat diese Lektion aus der Historie gelernt. Anstatt aber zu warten, bis ein Kritiker vom Format Packards auftaucht, um die Neurotricks der Marketing-Zunft ins Visier zu nehmen, übernahm er den Job gleich selbst. Doch hier zeigt sich ein klassischer Rollenkonflikt: Die Attitüde des Kritikers kann Lindstrom nicht durchhalten – lediglich in der Einleitung und einigen Kapiteln überwiegt der anprangernde Tonfall und die kritischen Kommentare, etwa wenn es um das Marketing rund um Kinder oder irreführende Bezeichnungen wie „organisch“ und „natürlich“ geht. Seine Empörung und Entrüstung wirkt aber schon in diesen Kapiteln etwas aufgesetzt.

In vielen anderen Teilen des Buches verliert er vollends die kritische Distanz: Etwa in dem Hohelied, das er dem Marketing mit und für Prominente singt. Oder sein offensichtliches Lieblingsprojekt: Einer Reality-TV-Show, in dem er eine Durchschnittsfamilie in eine amerikanische Vorortsiedlung einschleuste, damit sie dort Mund-zu-Mund-Propaganda für alle möglichen Produkte machen sollte, nur um zu zeigen, wie wirksam „Word-of-Mouth“-Marketing sei. Ein Projekt, was er völlig unkritisch mit kindlicher Begeisterung schildert und deren Ergebnisse er als Marketing-Weisheiten feiert.

Das Buch enthält sicherlich für Laien einige neue Informationen über die Vermarktungsmethoden der Branche, doch eine kritische Auseinandersetzung gibt es nicht. Selbst die angeprangerten Phänomene werden völlig bezugslos zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gesehen, eine tiefergehende Kritik an Kapitalismus oder Globalisierung (wie sie etwa das deutlich präzisere und konsequentere Buch „No Logo“ von Naomi Klein vor Jahren lieferte) ist nicht zu finden. Seine eigenen Methoden – von seinen neurowissenschaftlichen Studien bis hin zur Reality-Show – reflektiert er überhaupt nicht, wissenschaftliche Studien werden bei ihm genauso anekdotisch zitiert wie seine privaten Marken-Erlebnisse.

Der Eindruck, der hängen bleibt, ist eine naive Begeisterung für seine Arbeit als Marktforscher und Berater. Lindstrom moniert, das bei der Produkteigenschaft „natürlich“ viele Unternehmen einen Etikettenschwindel betreiben – er selbst macht sich genau dessen schuldig: Ein unreflektiertes Marketing-Buch mit dem Labels „Verbraucherschutz“ und „Konsumkritik“ zu verkaufen.

Martin Lindstrom: Brandwashed – Tricks Companies Use to Manipulate Our Minds and Persuade Us to Buy; Crown Business, New York 2011, 290 Seiten, ca. 13 €, ISBN 978-0-307-95632-3