Die heimliche Macht der Mediaforscher

Buchkritik:

„Mediaforschung“ von Gerlinde Frey-Vor u.a. – 

Die Mediaforschung ist eine der am weitesten ausdifferenzierten und erfolgreichsten Zweige der empirischen Sozialforschung. Dennoch ist die verfügbare Literatur zu diesem Thema alles andere als übersichtlich. Bisher gab es kein Buch, das umfassend das Feld der Mediaforschung in allen seinen Facetten und Details darstellt. Studierende wurden mit kurzen Kapiteln in einschlägigen Lehrbüchern der Kommunikationswissenschaft oder Werbeforschung abgespeist, und nicht selten enthielten diese eine ganze Reihe von Ungenauigkeiten. Die Praktiker selbst hüten ihr Expertenwissen, zusammengesammelt aus agenturinterner Erfahrung, Seminaren der Verlage oder Sender, Broschüren und Artikeln in der Fachpresse.


Der einzige Versuch, das Feld richtig zu beackern, ist das nach wie vor in seinem Umfang beeindruckende FOCUS-Lexikon von Wolfgang J. Koschnick – das sich allerdings weniger zum Lesen als zum Nachschlagen eignet (was man einem dreibändigen Lexikon natürlich nicht wirklich vorwerfen darf). Wer hier recherchiert, muss also schon wissen, was er sucht. Wie bekommt man aber eine detaillierte Einführung in das Thema Mediaforschung, ohne selbst in Hunderten von Quellen oder Stichworten suchen zu müssen? Abhilfe schafft ein jetzt erschienenes Buch, veröffentlicht von einem Team aus Wissenschaftlern aus Deutschland und der Schweiz. Das vorliegende Handbuch „Mediaforschung“ beeindruckt durch seine ungeheure Informationsfülle und Vollständigkeit.

Jedes Detail wird aufgeführt – von dem Kleingedruckten in der Satzung der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse bis zu Feinheiten der Stichprobenziehung der unterschiedlichsten Studien. Und das alles wird nicht nur für Deutschland ausgebreitet, auch über die Organisation der Mediaforschung in Österreich und der Schweiz berichten die Autoren kompetent. Dabei sind sie auf dem aktuellen Stand der methodischen und institutionellen Entwicklung dieser Länder. Für Deutschland wird zum Beispiel das komplexe Modell der AGOF zur Reichweitenmessung von Onlinemedien dargestellt. Schade ist allerdings, dass nicht auch das Thema Außenwerbung noch abgehandelt wird; ansonsten sind die wichtigen Mediagattungen ausführlich beschrieben.

Dabei geht das Buch durchaus über eine reine Faktensammlung hinaus. Hier wird auch die Funktion und Wirkung der Mediaforschung diskutiert – denn schließlich basieren auf den Daten der Forschung nicht nur die Media-Entscheidungen der Werbungtreibenden, sondern auch Programmplanung, Medienmarketing und Werbetarife. Und nicht zuletzt haben die Daten eine zunehmende politische Bedeutung, etwa wenn es um die Konzentrationskontrolle oder die Festsetzung der Fernsehgebühren geht. Die Autoren sprechen von der „heimlichen Macht der Mediaforschung“ und reflektieren den Verwertungszusammenhang, in dem die Ergebnisse und der Streit um die richtige Methode gesehen werden sollten. Das hohe theoretische Niveau dieser Kapitel und die Fülle an Einzelinformationen machen den Text nicht immer zu einer leichten Lektüre, trotzdem ist das Buch auch Media-Praktikern zu empfehlen – besonders, wenn sie einmal über die Grundlagen ihrer täglichen Arbeit nachdenken wollen.

Gerlinde Frey-Vor / Gabriele Siegert / Hans-Jörg Stiehler: „Mediaforschung“, UVK Verlagsgesellschaft / UTB, Konstanz 2008, 412 Seiten, 24,90 EUR, ISBN 978-3-8252-2882-8

UPDATE 2021:

Natürlich ist vieles, was in diesem Buch steht, heute nicht mehr aktuell – zu viel hat sich in der Mediaforschung geändert. Eine etwas aktuellere Sichtweise findet man in dem Kapiteln „Kommerzielle Publikumsmarktforschung“ und „Media Planung“ im „Handbuch der Medienökonomie“, die ich zusammen mit Michael Hofsäss verfasst habe. Doch der Aspekt der „heimlichen Hauptsache“ und die immense Bedeutung der Mediaforschung für die Medienbranche, den Gabriele Siegert herausgearbeitet hat, ist nach wie vor lesenswert.