Was Marktforscher so treiben…

Buchkritik:

„Zwischen Methodenpluralismus und Datenhandel“ von Schrage & Friederici –  

Kommerzielle Marktforschung war bisher ein Gebiet, mit dem sich die akademischen Sozialwissenschaften wenig beschäftigt haben. Weder fanden die Ergebnisse von Konsumentenbefragungen Eingang in die soziologische Theoriebildung, noch wurde thematisiert, welche Funktion Marktforschung in einem Unternehmen oder in der Gesellschaft innehaben. Anderseits klauen die Marktforscher ganz gerne aus dem Theorie-Supermarkt der Wissenschaft – vom „Demonstrativen Konsum“ bis zur „Lebenswelt“ wandern Begriffe der Soziologie in den Jargon der Marktforscher, oft werden dabei aber aus präzisen theoretischen Konzepten nur vage Floskeln und Schlagwörter.

Nur selten – etwa im Falle des Siegeszugs der Sinus-Milieus – gab es eine gegenseitige Befruchtung zwischen akademischer und kommerzieller Forschung. Jetzt ist eine Sammlung von Artikeln erschienen, die an einigen Themen beispielhaft zeigt, was dabei herauskommt, wenn sich Soziologen einmal genauer mit der Marktforschung beschäftigen: „Zwischen Methodenpluralismus und Datenhandel – Zur Soziologie der kommerziellen Konsumforschung“.

Das hört sich nach harter Theorie-Kost an, die Lektüre lohnt sich aber auch für Praktiker, denn ab und zu ist es durchaus erhellend, wenn man mal das eigene Tun etwas reflektiert – auch wenn die Ergebnisse manchmal nicht ganz dem nach Außen demonstrierten Selbstbild schmeicheln. Dabei geht es nicht vorrangig um die Frage, ob die Methoden der kommerziellen Marktforschungsinstitute genauso gut oder schlecht sind, wie die der durch hehre Standards geprägten der akademischen Forschung (obwohl ein Beitrag sich durchaus kritisch mit den bei Kreativagenturen beliebten „Vox Pops“ und „Trendvideos“ auseinandersetzt, also auf Video gebannte O-Töne echter Konsumenten).

Viel interessanter ist die Funktion von Marktforschung innerhalb eines Unternehmens: Der Konsum von Daten der Konsumforschung dient dabei, das Prestige der Auftraggeber dieser Daten zu steigern, sowohl intern wie auch extern – unabhängig davon, ob tatsächlich neue und verwertbare Ergebnisse dabei herausgekommen sind. Richtig spannend sind die Artikel, die sich mit dem Internet beschäftigen: Denn Konsumforschung ist gar nicht mehr notwendig, wenn der Konsument selbst dem Unternehmen die notwendigen Informationen über sein Kaufverhalten liefert. Was Laptop-Nutzer von ihren Geräten erwarten, weiß DELL aus seinen Bestellungen und benötigt dazu keine aufwendige Marktforschung.

Noch einen Schritt weiter gehen Unternehmen, die ihre Kunden als Produktentwickler einsetzen: So können LEGO-Fans eigene Bausätze kreieren, die auf der Website dann auch verkauft werden: Es handelt sich also quasi um einen Kurzschluss zwischen Zielgruppenbedürfnissen und Produktgestaltung, ohne den Umweg durch die Ermittlung der Kundenwünsche. Bisher scheint es nur wenige (erfolgreiche) Beispiele für diese Art von „Co-Kreation“ zu geben, doch es wird klar, dass in diesem Zusammenhang Konsumentenforschung ganz anders aussieht als bei traditionellen Mafo-Umfragen.

Einige Beiträge haben aber auch einen ganz praktischen Wert, da sie Beispiele für den Transfer zwischen akademischer und kommerzieller Forschung zeigen: Ein Text zeigt etwa beispielhaft, wie die Korrespondenzanalyse und das theoretische Konzept des „Sozialen Raums“ für die konsumrelevante Lebensstilforschung genutzt werden kann. Zugegeben: Ohne Soziologie-Studium ist es nicht immer leicht, den Argumenten und Ausführungen der Autoren im Detail zu folgen.

Das ist aber auch nicht bei jedem Artikel wirklich notwendig, denn auch bei einer etwas oberflächlicheren Lektüre bekommt man viele interessante Gedanken und Ideen mit, die uns helfen, besser zu verstehen, was wir in unseren Jobs in der Markt- und Medienforschung eigentlich so den ganzen Tag treiben.

Dominik Schrage / Markus R. Friederici (Hrsg.): Zwischen Methodenpluralismus und Datenhandel – Zur Soziologie der kommerziellen Konsumforschung; VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008; 200 Seiten, 24,90 €, ISBN 978-3-531-15470-1