Zwischen Musenkuss und Massenproduktion

Buchkritik:

„Innovationsmanagement für neues Fernsehen“ von Tanja Deuerling –

Was waren das noch für Zeiten, als es nur zwei Fernsehsender in Deutschland gab, die nur nachmittags und abends Programm ausstrahlten. Die relativ wenigen gezeigten Sendungen erreichten eine relativ hohe Anzahl von Zuschauern. Wie ist es heute: Programm rund um die Uhr, viele Sender, Spartenkanäle, Pay-TV, Video-Portale und Mediatheken im Internet, Streaming-Dienste und die gute, alte DVD – es müssen Unmengen von Sende- und Abspiel-Zeit mit Inhalten gefüllt werden. Der Hunger des Mediums nach Content erscheint unersättlich.

Da liegt gerade das Problem: Die Ausweitung der technischen Möglichkeiten schreitet rapide voran, doch die Programmproduzenten können nicht in der gleichen Geschwindigkeit neues Material liefern. Auch wenn heute der Ausstoß an hochwertigen US-Fernsehserien wahrscheinlich höher ist als jemals zuvor, reicht das nicht aus, um den Inhalte-Hunger zu stillen – zumal die neuen Serien ja nicht Woche für Woche häppchenweise konsumiert werden, sondern oft direkt nach Veröffentlichung in einem „Gelage“ (auf Englisch hört sich das natürlich cooler an: „Binge Watching“).

Die Herausforderung für die Fernseh-Industrie liegt also im Schaffen neuen Contents. TV-Programme sind Zwitterwesen: Zum einen Kulturprodukte, geschaffen von kreativen Menschen, die warten müssen, bis sie von der Muse geküsst werden; zum anderen Wirtschaftsgüter, die termingerecht und effizient ausgeliefert werden müssen.

Tanja Deuerling arbeitete früher bei TV-Sendern und Produktionsfirmen, jetzt hat sie ein Buch über den Entwicklungsprozess von Fernsehangeboten geschrieben, basierend auf ihrer Doktorarbeit. Dabei legt die Fernsehexpertin besonderes Augenmerk auf innovative Inhalte. Sie unterscheidet dabei zwischen inkrementellen (also eher moderaten), echten und radikalen Innovationen. Je radikaler, desto kreativer muss der Prozess sein und desto weniger lässt er sich straff organisieren.

Mit Methoden der Projektplanung, Kreativitätstechniken und Management-Prozessen entwickelt die Autorin ein System, bei dem die unterschiedliche Management-Tools zum Einsatz kommen, je nach Innovations-Grad der geplanten Formate. Ihr Konzept ist fundiert und wird ausgiebig hergeleitet (wie es sich für eine Promotionsschrift gehört), was den Lesefluss nicht unbedingt angenehmer macht. Trotzdem ist das Buch keine schwere Kost, Deuerling schreibt flüssig und präzise, jedoch über ein Spezialthema.

Man lernt einige Fachbegriffe der Entwickler kennen (etwa den „Papierpiloten“, das schriftliche Konzept für die Pilotsendung), allerdings immer auf einer abstrakten Ebene – konkrete Beispiele von TV-Sendungen oder anderen Bewegtbildformaten werden eher selten erwähnt. Der im Buch beschriebene Management-Prozess kann sicherlich helfen, die Entwicklungsarbeit effizienter zu gestalten. Ob es damit tatsächlich leichter wird, die vom Markt so ersehnten Innovationen wie am Fließband zu produzieren, bleibt zu hoffen.

Tanja Deuerling : Innovationsmanagement für neues Fernsehen; Springer VS, Wiesbaden 2016, 264 Seiten, 39,99 €, ISBN 978-3-658-11668-2