Wie man „instinktlose Werbung“ vermeidet

Die Schlagzeilen in der Presse häufen sich: „Unilever entschuldigt sich für homophobes Anzeigenmotiv“, „Deutsche Familienversicherung zieht Werbeplakat zurück“, „Rassismus-Vorwurf: Ferrero will umstrittene Kampagne überarbeiten„, „Sixt-Motiv: Mollath-Anwalt droht mit Klage / ZAW hält Motiv für bedenklich“. W&V titelt sogar: „Instinktlose Werbung als neuer Trend“.

Die Gefahr der Grenzüberschreitung bei kreativer Werbung ist groß (was ich in meiner Kolumne „Balanceakt mit Empörungspotenzial“ bereits thematisiert habe). Wieso ist aber niemand das Empörungs-Potenzial der kritisierten Kampagnen vorher aufgefallen? Wieso wird eine Kampagne mit den Claim „Fuck the Diet“ erst mit viel Werbedruck gestartet und dann wegen Protesten aus der Zielgruppe wieder zurückgezogen? Sind Werber so ahnungs- und sorglos, wenn es um die Wahrnehmung ihrer Werbung außerhalb der Wände der eigenen Agentur geht? Und warum haben die Auftraggeber so etwas durch gewunken, ohne über die Konsequenzen zu reflektieren?

Meinen Studierenden in der Akademie für Marketing-Kommunikation wäre so etwas wahrscheinlich nicht passiert. In meiner Vorlesung zum Thema Kommunikationslehre gebe ich Ihnen ein einfaches Modell aus der Psychologie an die Hand, mit dem man jede Werbung einfach auf Herz und Nieren prüfen kann. Es basiert auf den populären „Kommunikations-Quadrat“ von Friedemann Schulz von Thun, das nicht nur zur Analyse von zwischenmenschlicher Kommunikation taugt, sondern auch um Werbung und Markteint-Kommunikation zu überprüfen.

Schulz von Thun wies darauf hin, dass eine Botschaft vier Aspekte für die Teilnehmer des Kommunikationsprozesses haben kann. Neben dem eigentlichen Sachinhalt sagt der Sender auch etwas über sich selbst aus (Selbstoffenbarung oder Selbstdarstellung) und fordert den Empfänger auf, sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten (Appell). In der Art und Weise, wie die Botschaftsübermittlung abläuft, wird auch etwas über die Beziehung zwischen Sender und Empfänger ausgesagt, z.B. über die zwischen ihnen herrschenden Machtverhältnisse.

Wenn eine Botschaft anders ankommt, als sie vom Sender gemeint war, kann das an einem oder mehreren der vier Aspekte liegen. Dieses Modell kann auch hilfreich für die Marketing-Kommunikation sein, z.B. wenn man aufgefordert ist, eine Anzeige oder einen TV-Spot zu bewerten. Aus den vier Aspekten kann man Fragen ableiten, die man z.B. an eine Anzeige stellen kann: Was ist der eigentliche Inhalt? Welcher Appell (auch: Call to Action) ist enthalten? Was sagt die Anzeige über den Sender, also den Werbetreibenden aus? Wie wird der Empfänger, also die Zielgruppe, die Beziehung zwischen sich und dem Absender einschätzen? Wenn man über diese Fragen nachdenkt, kann man zu einem begründeten Urteil über die kommunikative Funktion einer Werbung kommen.

Also: Bevor eine Werbung on-air geht, sollte jeder Verantwortliche in Agentur und Marketing-Abteilung sich fragen: Was sagt diese Werbung über den Absender aus? Wie wird die Zielgruppe und die weitere Öffentlichkeit diese Werbung in Bezug auf die Beziehung zwischen Sender und Empfänger interpretieren? Habe ich den richtigen Code gewählt – also Sprache, Jargon, Bilder oder auch eine spezielle Art von Humor – der von den Empfängern richtig decodiert und verstanden werden kann? Wer über diese Fragen aus Sicht der Konsumenten nachdenkt, wird keine voreiligen Entscheidungen treffen und nicht so schnell „instinktlose Werbung“ unter das Volk bringen.