Meinungsführer und Mundpropaganda im Finanzmarketing

Die Deutschen reden über Geld – doch nicht mit jedem. Viele konzentrieren sich auf die Familie, doch gibt es auch einflussreiche Multiplikatoren in Sachen Finanzen. Die Netzwerkforschung hilft uns, sie zu identifizieren und gezielt anzusprechen. Dadurch wird entscheidungsrelevante Mundpropaganda strategisch in die Planung integriert. Social Media steuern dazu meist nur „digitalen Small-Talk“ bei. Das sind einige Kernthesen aus der Analyse einer repräsentativen Studie, die ich für meinen damaligen Arbeitgeber Universal McCann in Zusammenarbeit mit FAS.research und dem Netzwerk-Experten Dr. Harald Katzmair konzipierte. Einige Ergebnisse wurden in einem Artikel in der Fachzeitschrift Media Spectrum veröffentlicht. Hier können Sie den Beitrag nachlesen.

Verantwortung statt Small Talk

Die wahren Meinungsführer bei Finanzfragen findet man nicht in Internet- Foren, denn sie erteilen ihre Ratschläge nicht wahllos. Wenn man sie identifiziert, lässt sich ihre Multiplikator-Funktion für Kampagnen nutzen. Begriffe wie Word-of-Mouth und Viralität gehören mittlerweile zu den gängigen Marketing-Vokabeln, beflügelt durch den rasanten Erfolg der Social-Media-Plattformen. Dass Empfehlungen und Gespräche einflussreich sind, scheint außer Frage zu stehen – doch stimmt das wirklich für alle Produktbereiche – vom Schokoriegel bis zur Versicherung? Gerade bei Finanzdienstleistungen haben viele Marketing-Experten Zweifel – schließlich gebe es in Deutschland die tiefverwurzelte Maxime: „Über Geld redet man nicht“. Unsere Forschung zeigt klar: Über Geld wird in Deutschland geredet, seit der Krise sogar mehr. Doch nicht jeder gibt Empfehlungen und viele sind bei der Wahl der Gesprächspartner vorsichtig. Zweifellos haben manche Menschen eine besondere Funktion in der alltäglichen Kommunikation über Finanzfragen. Meinungsführer, Influencer, Multiplikatoren – die Bezeichnungen sind vielfältig, doch basieren sie oft auf veralteten oder naiven Konzepten. Dabei gibt es in der Erforschung sozialer Netzwerke große Fortschritte, die wir nutzen wollten, um die wahren Multiplikatoren in der alltäglichen Finanzkommunikation zu finden.

Über Geld redet man nicht. Oder doch?

Deshalb haben wir zusammen mit dem führenden Experten für Netzwerkanalysen gearbeitet: Dr. Harald Katzmair und sein Institut FAS.research in Wien sind erfahren in der Analyse von sozialen Netzen und deren Spielregeln. Ihre Studien untersuchten viele Phänomene – von dem Netzwerken der Beduinen im Sudan bis zu den Seilschaften der österreichischen Wirtschaft. Zusammen entwickelten wir einen Fragebogen zur Identifikation von Multiplikatoren. Eine repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung im Alter von 20 bis 69 Jahre wurde im Sommer 2010 online befragt (insgesamt 3.072 Interviews).

Der wichtigste Beratersitzt zuhause

Der wichtigste Gesprächspartner ist meist der eigene Lebenspartner – Finanzentscheidungen sind also schon lange keine Männerdomäne mehr, sondern immer eine Konsensentscheidung in der Partnerschaft. Auch andere Verwandte werden in Gespräche über Finanzen mit einbezogen. Bei Freunde und Arbeitskollegen ist das Bild schon differenzierter – viele Deutsche halten sich hier zurück, doch gibt es hier auch Gruppen, die sehr intensiv Gespräche suchen. Doch ob auch tatsächlich Ratschläge ausgetauscht werden und wie wichtig die Meinung der jeweiligen Gesprächspartner ist, da gibt es doch deutliche Unterschiede: Arbeitskollegen werden als weniger wichtig eingeschätzt – hier geht es also oft um Small Talk.

Arbeitskollegen sind nur gut für Small Talk.

Professionelle Berater – allen voran der Ansprechpartner bei der Hausbank – werden hingegen selten konsultiert, haben aber einen starken Einfluss – trotz des auch in unserer Studie ermittelten schwindenden Vertrauens in die Banken. Am wichtigsten wird wieder der Lebenspartner angesehen, am wenigsten relevant sind Verbraucher-Meinungen in Internet-Foren und Communities. Sie werden nur von wenigen Leuten genutzt, dienen aber mehr der Unterhaltung oder der Bestätigung von bereits recherchierten Informationen – auf die Meinungsbildung bei der Wahl von Geldanlagen und anderen Finanzserviceleistungen haben sie keinen nennenswerten Einfluss.

Neue Segmentierung berücksichtigt die Viralität

Wer sind aber nun die Multiplikatoren? Die Netzwerkforschung von FAS.research hat ergeben, dass man zwei Aspekte berücksichtigen muss: Die reine Word-of-Mouth-Aktivität oder „Diffusion“ – d. h. die Anzahl der Gespräche und der Gesprächspartner – und der Meinungsbildung oder „Conversion“: Sie findet nur statt, wenn die Gesprächspartner einen auch um Rat fragen und sich die Personen im Umfeld einander gut kennen. Aus einer Vielzahl von Fragen wurde ein „Virality Index“ entwickelt, der sowohl Diffusion wie Conversion abbildet. Als zweite Dimension wurde die Affinität zu gehobenen Finanzdienstleistungen ermittelt – das traditionelle Verfahren, um die wertvollen Kunden und relevanten Zielgruppen zu finden. Daraus ergeben sich vier Segmente:

  • Wertvolle Kunden mit einem geringen Viralitäts-Index.
  • Wertvolle Kunden mit einem hohen viralen Potenzial.

Ihnen gegenüber stehen die eher passiven Kunden, die sich wenig um Finanzangelegenheiten kümmern, denen die Ressourcen fehlen und die dementsprechend wenig über Geld reden. Eine Sonderstellung nimmt das vierte Segment ein: Hier geht es um Leute, die zwar über Geld reden, denen es aber für eigene Investments fehlt. Vertiefende Analysen zeigen, dass sie sich meist mit allgemeinen (oft negativen) Themen rund um die Wirtschaft beschäftigen, sie aber als Ratgeber kaum bedeutsam sind.

FAS.research berechnet den Virality-Index.

Die strategisch wichtige Gruppe ist also das Segment der „wertvollen“ Kunden mit hohem Virality-Index – das sind überwiegend Personen mit hohem Einkommen, hoher Bereitschaft zum Geldanlegen, viele davon mit Hochschulabschluss und Jobs mit leitenden Positionen. Ihr Interesse in Finanzfragen und ihre Kenntnisse sind sehr ausgeprägt.

 Eine gezielte Ansprache ist notwendig

In diesem Segment finden sich also die wirklichen Meinungsführer. Sie reden nicht nur im engsten Familienkreis, sondern auch mit Freunden und Kollegen über Gelddinge und berichten über eigene Erfahrungen beim Investieren. Dadurch werden sie als Ratgeber geschätzt. Viele genießen ihren Expertenstatus, sind sich der Verantwortung aber bewusst. Sie nutzen auch verstärkt Social Media als Informationsquelle, geben den dortigen Konsumentenmeinungen aber trotzdem kein hohes Gewicht – es ist eher eine Art digitaler Small-Talk. Interessanterweise haben sie ein recht entspanntes Verhältnis zu ihren Bankberatern – ihr Finanzwissen liefert ihnen Selbstsicherheit und Transparenz. Sie benötigen eine andere Ansprache als ihre Pendants, die wertvollen Kunden mit geringer Viralität. Diese Passiven suchen in den wenigen Gesprächen eher Bestätigung, während die Aktiven auch kontroverse Themen diskutieren.

Quelle: Media Spectrum 2010

Dementsprechend benötigen die Aktiven mehr und andere Informationen, sie können im Gegensatz zu den Passiven mit Dissonanzen umgehen. Auch nutzen diese Multiplikatoren zusätzliche Medien, allen voran Special-Interest-Angebote in Print und Internet. Eine solche Segmentation, welche die Viralität berücksichtigt, kann zu einer effektiveren Mediaplanung führen, mit der spezielle Botschaften an die strategisch wichtigen Multiplikatoren vermittelt werden. Sie sind der Treibstoff für einflussreiche Gespräche in den umfangreichen sozialen Netzwerken der Meinungsführer.

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