Bei Big Data blicken die wenigsten durch, doch jeder hat dazu Bilder im Kopf – sehr unterschiedliche: Von Daten-Kraken bis zum Einkaufs-Paradies. Oft behindern uns diese Vorstellungen, den wirklichen Nutzen zu verstehen. Dazu meine Kolumne für Springer Professionals.
Big Brother oder Schlaraffenland?
Was macht den Erfolg eines „Buzz-Words“ aus? Es muss nicht nur eine neue Idee bezeichnen, sondern so anschaulich sein, dass es Bilder im Kopf auslöst, und gleichzeitig so vage, dass es auch unterschiedlichste Phänomene umfasst. Präzise definierte Begriffe sind langweilig, Buzz-Words nehmen uns mit auf eine Reise. Allerdings geht diese nicht immer in die gleiche Richtung: Man redet aneinander vorbei, doch die Emotionen, die durch unsere inneren Bilder hervorgerufen werden, sorgen für eine anregendes Gespräch. Das ist bei dem beliebtesten derzeitigen Marketing-Buzz-Word nicht anders: Big Data.
Big Brother lässt grüßen
Welche Bilder löst das Schlagwort von Big Data bei Marketing-Experten aus? Im Augenblick – dank NSA und „Heartbleed“-Sicherheitslücke – denken wir an Big Brother – nicht das seichte TV-Format, sondern den ursprünglichen Big Brother aus George Orwells Roman „1984“: Er beobachtet und bewacht jeden rund um die Uhr, liest die Gedanken seiner Untertanen. Die Dystopie des gläsernen Menschen beängstigt Millionen von Menschen. Wenn alle unsere Aktivitäten in les- und hackbare Datenströme münden, wären wir immer im Visier von Geheimdiensten und Firmen. Kein Wunder, dass bei solchen Vorstellungen Big Data alles andere als willkommen erscheint.
Die Armee der Roboter
In ähnliche Richtung geht ein anderes Vorstellungsbild: Die Armee der Roboter und Maschinen, die ohne Menschenhand ihr Werk verrichten. Daten werden gesammelt und lösen Reaktionen aus – alles automatisch. Algorithmen bestimmen, wer welche Werbung sieht, welche Angebote bekommt, welche Preise bezahlt. Dies ist keine Zukunftsmusik: Programmatic Buying, Real-Time-Bidding, Real-Time-Advertising – alles schon Realität. Diese Art von Advertising Engineering hat ihre Vorbilder beim Financial Engineering der automatisierten Börsen, bei denen Computer miteinander Geschäfte machen und in Sekundenschnelle das Finanzsystem in die Krise führen können.
Willkommen im Schlaraffenland
Doch gibt es auch positive Bilder. In den USA denken viele bei Big Data gar nicht an Katastrophe und Überwachung, sondern nur an ein technisches Problem: Wie lassen sich die immer größer werdenden Datenmengen speichern, übertragen, anwenden? Es ist die nüchterne Sichtweise von Ingenieuren und IT-Architekten. Oft wird sie aber auch kombiniert mit einem positiven Bild: Das Schlaraffenland, in dem einen die Wünsche von den Augen abgelesen werden. Das gilt sowohl für den Konsumenten, der genau die Waren bekommt, die er sich bewusst oder unbewusst wünscht, wie auch für den Händler, der seinen Umsatz maximiert, weil er seine Kunden besser kennt als diese sich selbst. Der Klassiker ist die Anekdote, bei dem Wall-Mart einer auf Basis ihrer Einkäufe Angebote für Baby-Produkte schickte – denn die Algorithmen haben herausgefunden, dass sie schwanger sei – was noch nicht einmal ihre Familie wusste.
Packen wir Big Data an
Bei solchen unterschiedlichen Vorstellungen ist es kein Wunder, dass auf Big Data emotional und kontrovers reagiert wird – von Daten-Euphorie bis zur konsequenten Ablehnung oder Verdrängung. Das macht die Diskussion spannend, aber verstellt den Blick auf die wirklichen Aufgaben: Welche Datenströme gibt es, wie kriegt man sie technisch in den Griff, wie lassen sich mit diesen echte Kundenbedürfnisse befriedigen, wie lassen sich Marketing-Maßnahmen effektiver und effizienter gestalten? Wir sollten einen Schritt weitergehen: Weg von dem vagen Kopfkino, hin zu den konkreten Möglichkeiten. Big Data ist kein Schreckgespenst oder eine Paradies-Vision, sondern ein Job den wir erledigen müssen.