Eine internationale Studie zeigt: Social Media-Aktivitäten im Netz nehmen immer mehr zu. Ihre Vermischung mit Marketingmaßnahmen sehen die Nutzer jedoch kritisch.
Für die September-Ausgabe 2009 Fachzeitschrift Media Spectrum schrieb ich einen Artikel, der die internationale Studie WAVE von Universal McCann vorstellte. Hier können Sie den Artikel nachlesen…
Social Media verstehen lernen
Vor 25 Jahren wurde in Deutschland die erste E-Mail verschickt – ein Jahrestag, dem sogar die „Tagesschau“ einen Beitrag widmete. Tatsächlich begann damit in Deutschland das Internet-Zeitalter, unser Arbeitsleben und unsere Freizeit sind seitdem nicht mehr so wie früher. Doch die E-Mail wirkt heute schon fast veraltet, wenn man sie mit schnelleren und interaktiveren Kommunikationsformen wie Instant Messaging oder Twitter vergleicht.
Die E-Mail wirkt heute schon fast veraltet.
Der wichtigste Trend der letzten Jahre ist der Siegeszug der mittlerweile etablierten Angebote, die unter dem Oberbegriff Social Media zusammengefasst werden, wie beispielsweise Blogs, E-Mailing, Netzwerke oder Foto-Communities. Mit der globalen Studie WAVE der Media-Agentur Universal McCann liegen die ersten Zeitreihendaten über ihre Nutzung vor. Die Ergebnisse zeigen klar das rasante Wachstum, aber auch die Grenzen von Social Media auf.
Weltweit werden die Nutzer aktiver
Insgesamt hat sich die Nutzung von Social Media-Angeboten in vielen Ländern auf einem hohen Niveau eingependelt. Die Vorreiter sind China oder Süd-Korea, Nachzügler Deutschland hat jedoch extrem aufgeholt. Inzwischen ist besonders bei der passiven Nutzung von Plattformen wie YouTube und Co. eine gewisse Sättigung festzustellen. Bei der aktiven Nutzung, also dem Bereitstellen von Consumer Generated Content (Bildern, Musik, Videos oder Texten), scheint das Potenzial aber noch nicht ausgeschöpft.
Laut der WAVE-Studie wächst dieses nach wie vor. Die Barrieren, die Menschen davon abhalten, selbst als „Produzenten“ aufzutreten, sind heute weniger hoch. Aus globaler Sicht konzentriert sich das Wachstum inzwischen auf den Bereich der Social Networks, während es in den letzten Jahren eher bei Blogs und Foto-Communities zu finden war. Konsumenten stellen zwar mehr Fotos, Texte und Videos ins Netz, doch machen sie das heute primär auf Social Network-Angeboten wie Facebook, MySpace oder StudiVZ, anstatt auf reinen Foto- oder Video-Seiten.
Die Barrieren, die Menschen davon abhalten, selbst als „Produzenten“ aufzutreten, sind heute weniger hoch.
Vor einigen Jahren war noch der Begriff „Web 2.0“ beliebt, heute sprechen wir lieber von „Social Media“. Der Begriff drückt sehr treffend eine Ambivalenz aus. „Social“ verweist auf die Funktion, mit anderen Menschen zu kommunizieren und Beziehungen zu pflegen. „Media“ hingegen suggeriert, dass es sich um Medien handelt, die den herkömmlichen Formen der Massenkommunikation ähneln. Tatsächlich sind nur wenige Angebote mit solchen Medien vergleichbar – etwa die Video-Plattform YouTube, die in Reichweite, Bekanntheit und Inhalt schon nahe an ein Massenmedium heranreicht.
Fast die Hälfte aller in Deutschland angeschauten Web-Videos findet man auf YouTube. Hier überwiegt eine eher passive Nutzung, was auch die Studienergebnisse zeigen: 74 Prozent der in Deutschland befragten Internetnutzer haben im letzten halben Jahr einen Video-Stream online angesehen, dagegen haben nur 13 Prozent einen Clip auf ein Portal hochgeladen.
Motive, wie sich selbst öffentlich zu präsentieren oder neue Bekanntschaften zu schließen, sind für große Teile der Nutzer kaum relevant.
Doch Social Media hat eine noch viel wichtigere soziale Funktion, nämlich als Medium des zwischenmenschlichen Austauschs. Dabei ist interessanterweise festzustellen, dass viele Facebook- oder StudiVZ-User fast nur mit einer begrenzten Zahl von engen Freunden kommunizieren. Motive, wie sich selbst öffentlich zu präsentieren oder neue Bekanntschaften zu schließen, sind für große Teile der Nutzer kaum relevant. So stimmen etwa 25 Prozent der befragten deutschen Internetnutzer der folgenden Aussage zu: „Ich habe kein Interesse daran, mit Leuten in Kontakt zu bleiben, die ich nie persönlich treffe.“ Diese eher private Anwendung der Social Media-Tools trifft auch auf Blogs zu. Insgesamt haben zwar 57 Prozent im letzten halben Jahr einen Blog gelesen.
Im Augenblick, in dem klar wird, dass die Plattform Geld verdienen will, werden sozialen Normen verletzt.
Aber drei Viertel dieser Blogs stammen aus dem persönlichen Umfeld – von Freunden oder Familienmitgliedern. Auch Blogs sind also eher „Social“ als „Media“. Dies hat Konsequenzen: Die Nutzer erwarten in einer Social Community, dass wie in einem echten Freundeskreis soziale Normen erfüllt werden. In dem Augenblick, in dem klar wird, dass der Anbieter mit der Plattform Geld verdienen will, werden genau diese sozialen Normen verletzt. Deshalb reagierten beispielsweise die Mitglieder von Xing negativ, als dort Werbung zugelassen werden sollte. Auch die anhaltende Datenschutz-Diskussion zeigt, dass hier soziale Normen und Marktnormen in Konflikt geraten. Und das macht es generell schwer, Social Community-Plattformen für die Marketing-Kommunikation einzusetzen.
Symptomatischer Streit um die „Generation Upload“
Je aktiver und involvierter die Gruppe der Social Media-Nutzer ist, desto kritischer und skeptischer werden sie gegenüber allen Marketing-Maßnahmen, die sie von oben herab wie manipulierbare Konsumenten behandeln. Das hat Vodafone zu spüren bekommen: Das Unternehmen hat für seine aktuelle Markenkampagne einige prominente Personen aus der Blogger-Szene eingesetzt.
Die „Generation Upload“ tickt ganz anders als etwa die „Pepsi Generation“.
Das führte zu einer heftigen Diskussion in vielen Blogs darüber, wie glaubwürdig diese Testimonials sind (was bei den Bahn-Spots von Dieter Bohlen übrigens niemanden interessiert). Die Authentizität eines Bloggers ist sein Kapital, auf Widersprüche wird peinlich geachtet. Die Vodafone-Debatte zeigt, dass die anvisierte „Generation Upload“ ganz anders tickt als etwa die „Pepsi Generation“ in den Tagen des guten, alten Massenmarketings.
Die Zielgruppe verstehen
Ein Widerspruch kennzeichnet die Social Media-Angebote: Einerseits werden sie immer beliebter und sind ein attraktiver Kommunikationskanal. Andererseits ist es schwierig, diesen Kanal für Marketing- Kommunikation einzusetzen, denn sein Sozial-Charakter könnte leiden. Soll man deshalb diese Medien aus dem Kommunikationsplan aussparen? Sicherlich ist es manchmal ratsam, den Menschen ihre Plattformen des gegenseitigen Austauschs einfach zu lassen und sich nicht einzumischen. Aber wer die Erwartungen der Zielgruppe kennt, kann relevante Angebote integrieren, die auf Interesse und Akzeptanz stoßen. Geeignet sind beispielsweise Spiele, die involvieren und eher latent auch Markenideen vermitteln. Voraussetzung dafür ist aber ein klares und tiefes Verständnis der Zielgruppe, bei dem Studien wie WAVE helfen können.
Social Media- Tracking mit WAVE
Die internationale Studie WAVE wurde von Universal McCann 2006 gestartet und seitdem jährlich aktualisiert. Der Schwerpunkt liegt auf der Nutzung und Akzeptanz von Social Media-Angeboten, die mit einer gleichbleibenden Abfrage er-mittelt werden. Hinzu kommen wechselnde Themen wie z. B. mobiles Internet. Mit der aktuell veröffentlichten vierten Welle liegen Daten für mittlerweile 38 Länder vor. Die Grundgesamtheit sind Menschen, die täglich ins Internet gehen. Insgesamt wurden für WAVE 4 rund 23.000 Online-Interviews geführt. Die Ergebnisse werden regelmäßig in Sonderanalysen veröffentlicht. Die aktuelle Broschüre „Power to the People“ gibt es auf www.universalmccann.de/wave4.
Erschienen in Media Spectrum 9 / 2009.
UPDATE 2021:
Seit 2015 sind weitere Wellen der WAVE-Studie erschienen. Einige Informationen zu den jüngsten Wellen finden Sie hier.