Haltung ist eine Chance für Kommunikation

Haltung ist gefragt im Marketing. Was steckt dahinter? Ist der „Purpose“ wichtig für eine Marke? Sind öffentliche Debatten für Unternehmen eine Gefahr oder eine Kommunikations-Chance? Das Kundenmagazin der KKH news+ KKH Nachrichten für Arbeitgeber“ widmet sich in der aktuellen Ausgabe diesem Thema. Dabei wurde auch ich interviewt (Interviewer war Antonio De Mitri). Die gesamte Ausgabe und das ausführlich Interview kann findet man auf der Website der KKH, aber Sie können es auch gleich hier lesen:

Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sind unsicher, wie sie mit dem Thema Haltung umgehen sollen. Der Frankfurter Markt- und Medienforscher Dirk Engel macht ihnen Mut: Wer es richtig angeht, kann seine Zielgruppen umso stärker an sich binden.

Herr Engel, wieso wird eigentlich plötzlich so viel über Haltung gesprochen?

In vielen gesellschaftlichen Bereichen herrscht heute eine höhere Sensibilität. Gleichzeitig werden die öffentlichen Debatten rauer, auch extreme Ansichten werden artikuliert. Deshalb können Unternehmen in öffentliche Debatten geraten und müssen mitunter Stellung beziehen. Haltung zu bestimmten gesellschaftlichen Themen zu zeigen, wird deshalb immer häufiger von Firmen und deren Führungskräften verlangt.

Ist das eine Modewelle oder steckt mehr dahinter?

Vor einigen Jahren kochte in Unternehmen das Thema „Corporate Social Responsibility“ hoch – Firmen sollten nicht nur auf den Gewinn achten, sondern ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen. In jüngster Zeit geht das Schlagwort „Purpose“ um. Eigentlich heißt es nur, dass jedes Unternehmen einen Zweck haben muss. Doch einen rein geschäftlichen Zweck zu haben, wie zum Beispiel „Kunden die besten Produkte in der Kategorie XY zu geben“, scheint nicht mehr auszureichen. Der Purpose soll möglichst über die Firma hinausweisen und gesellschaftliche oder ökologische Ziele mit aufnehmen. Das alles ist mittlerweile aber keine rein akademische Diskussion unter Management-Professoren mehr, sondern basiert auf einer veränderten Sichtweise der Konsumenten.

Das widerspricht aber doch erst einmal der unternehmerischem Logik, oder?

Im Wirtschaftsleben gibt es nur eine Logik: die des Geldverdienens. Andere Zwecke und Werte sind nur dann relevant, wenn sie das Geldverdienen beeinträchtigen oder fördern können. Das ist gegeben, wenn die Konsumenten ihre Kaufentscheidungen von der Haltung eines Unternehmens abhängig machen. Die Kunden sind es also, auf die es ankommt. Bei ihrer Kaufentscheidung zählt es zunehmend nicht nur, dass das Produkt die erhoffte Leistung erbringt, sondern auch, ob die Werte des Anbieters mit meinen Werten übereinstimmen. Dadurch wird potenziell jeder Kauf zu einer „High-Involvement-Situation“. Selbst der Kauf eines Schokoriegels für ein paar Cent kann so zu einem politischen Statement werden: Es geht nicht allein um Geschmack oder Kalorien – zusätzlich können Tierwohl, die Verwendung von Palmöl oder gentechnisch verändertem Mais, Arbeitsbedingungen in den Herstellungsländern oder ganz andere Kriterien relevant werden.

Welche Rolle spielen bei der Diskussion um Haltung die sozialen Medien?

Soziale Medien können Debatten starten und verstärken. Für viele jüngere Menschen sind solche Plattformen gleichzeitig Informationsquellen und Kommunikationsmittel. Dadurch kann die Aufmerksamkeit auf Themen oder bestimmte Unternehmen gelenkt werden. Journalisten bei den klassischen Medien finden außerdem Anregungen in den sozialen Netzwerken und greifen diese Themen auf – was wiederum zu einer Verstärkung oder Eskalation beitragen kann. Eine besondere Gefahr der sozialen Medien besteht darin, dass Aussagen, die früher nicht an die Öffentlichkeit gekommen wären, sich leichter verbreiten. Eine unbedachte, vielleicht eher private Bemerkung eines Managers auf Twitter kann dann schon mal zum Skandal werden und sogar den Aktienkurs beeinflussen. Die Grenze zwischen öffentlich und privat verschwimmt mehr als früher.

Ist die Angst vor dem Shitstorm berechtigt?

Natürlich besteht immer die Gefahr, dass man Mittelpunkt eines Skandals wird. Kaufboykotte sind eine reale Option. 38 Prozent der in einer Studie  befragten Deutschen gaben an, schon mal Produkte und Dienstleistungen nicht genutzt zu haben, weil sie mit der Haltung eines Unternehmens nicht übereinstimmten. Doch Haltung zu zeigen, kann genauso auch eine Chance sein. So kann eine Marke in der Werbung soziale Themen aufgreifen, um zu zeigen, dass ihre Werte mit denen der Zielgruppe übereinstimmen. Die kontroversen Diskussionen sind dann keine Gefahr, sondern ein gewollter Teil der Kampagne – man denke nur an Dove oder Gillette, die sich erfolgreich mit Schönheitsidealen und Geschlechter-Stereotypen kritisch auseinandersetzen

Haltung muss glaubwürdig sein – wie gelingt mir das als Unternehmen?

Der Begriff Authentizität ist schwierig zu definieren. Gerade Wirtschaftsunternehmen sind erst einmal im Generalverdacht, dass es ihnen nur ums Geld gehe. So stimmen 29 Prozent der Befragten in der Studie der Aussage zu: „Unternehmen und Marken sollten sich aus öffentlichen Diskussionen heraushalten.“ Man muss genau analysieren, welche Werte die Zielgruppe hat und ob die Werte der Marke dazu passen. Hier braucht es Fingerspitzengefühl, aber auch Mut.

Wo verläuft die Grenze zwischen Authentizität und Werbesprüchen?

Die ist nicht immer klar zu ziehen. Allerdings sind nicht alle Konsumenten überkritisch – viele sind dankbar, wenn man ihnen mit einem Produkt ein gutes Gewissen mitverkauft. Der Begriff „Greenwashing“ besagt zum Beispiel, dass ein ökologisches Engagement vorgetäuscht wird. Das lässt sich auf andere Themenbereiche übertragen. Auch hier muss man die Psychologie der Konsumenten verstehen. Greenwashing betreiben nicht nur Unternehmen, auch Verbraucher möchten ihr Image aufbessern. Sie wollen sich selbst als ökologisch bewusste Bürger sehen, obwohl ihre Gewohnheiten mit den Einstellungen noch nicht übereinstimmen.

Wie sehr hängt unternehmerische Haltung von den Führungskräften ab?

Manager sind Menschen, die vom gesellschaftlichen Wandel nicht isoliert sind. Stattdessen sind sie in ihren Milieus und Lebenswelten zu Hause und müssen sich dort mit Familie, Freunden und Nachbarn auseinandersetzen. Deren Werte sind auch für sie wichtig. Bei kleinen Unternehmen ist der Chef oder die Chefin auch die Person, die eine Haltung authentisch ausdrücken kann. Das ist einfacher als in einer großen Organisation. Hier dafür zu sorgen, dass alle mit einer Stimme sprechen und die gleiche Haltung überzeugend vertreten können, ist eine Herausforderung.

Muss sich wirklich jeder Betrieb mit dem Thema auseinandersetzen?

Das öffentliche Parkett ist sehr glatt, die Gefahr auszurutschen hoch. Wer sich da nicht wohlfühlt, sollte sehr genau überlegen, ob er sich darauf einlässt. Eine klare Haltung zu haben, bedeutet, Konflikte aushalten zu können. Nicht jeder Unternehmer ist dazu bereit oder in der Lage. Auf der anderen Seite kann es aber jede Firma treffen, in eine gesellschaftliche Debatte gezogen zu werden. Hier sollte man frühzeitig mögliche Konfliktthemen erkennen und sich vorbereiten, bevor es zu einem öffentlichen Eklat kommt. Viele Branchen bergen eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Minenfeldern, aber auch die Personalpolitik kann in den Blickpunkt geraten – etwa, wenn es um die Zahl der weiblichen Führungskräfte oder die Diversität der Belegschaft geht. Deshalb ist es vernünftig, sich seiner Haltung zu solchen Themen bewusst zu sein, selbst wenn man damit noch nicht an die Öffentlichkeit geht.

Ihre drei Toptipps für kleine und mittelständische Unternehmen zum Umgang mit Haltung?

Erstens: Diskutieren Sie mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesellschaftliche Themen, die Ihre Geschäfte berühren könnten. Holen Sie sich dazu externe Meinungen – nicht nur von Beratern, sondern auch von Menschen aus ganz anderen Bereichen: von Studierenden, Lehrenden, politisch Aktiven, Menschen, die sich sozial engagieren. Lernen Sie die Themenfelder kennen, bevor Sie öffentlich eine Haltung zeigen. Das Beobachten von Social-Media-Posts kann dabei helfen.

Zweitens: Sehen Sie das Thema Haltung nicht nur als eine Defensivmaßnahme. Es kann eine aktive Kommunikationschance sein. Schauen Sie, ob es in Ihrem Umfeld bereits Aktivitäten gibt – bei Kunden, Mitarbeitern, Vereinen oder Organisationen aus der Branche oder der Nachbarschaft. Fördern Sie das ehrenamtliche Engagement von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – deren ehrliche Haltung wird immer authentischer sein als jede auf dem Reißbrett entworfene Strategie.

Drittens: Sorgen Sie dafür, dass Sie in öffentlichen Diskussionen schnell reagieren können und handlungsfähig sind. Schnelligkeit ist in der Social-Media-Welt wichtiger als präzise Planung, zumal die Kommunikation in einer digitalen Öffentlichkeit kaum zu kontrollieren ist. Zeit für lange Abstimmungsmeetings und komplexe Freigabeprozeduren gibt es leider nicht mehr.