Buchkritik:
„The Choice Factory – 25 behavioural biases that influence what we buy“ von Richard Shotton.
Marketing ist angewandte Psychologie. Diese Weisheit hat vielleicht noch nicht jeder Betriebswirt komplett verinnerlicht, neu ist sie aber nicht. Bücher zur Psychologie von Konsumentscheidungen gibt es viele, einige sind kompliziert, andere eher simpel und plakativ. Dazu gehört ohne Zweifel „The Choice Factory“ vom britischen Marketing-Experten Richard Shotton. Auf dem Screenforce-Expertenforum im Frühjahr dieses Jahres konnte man ihm lauschen. Wer dabei Appetit auf mehr bekam, für den ist Shottons 2018 erschienenes Buch eine hervorragende Quelle. Es ist schön einfach strukturiert: In 25 kurzen Kapiteln wird jeweils eine Erkenntnis aus der Sozialpsychologie vorgestellt. Erläutert wird die Grundidee, einige Studien werden sehr knapp referiert, schließlich leitet der Autor konkrete Anwendungsbeispiele für die Werbe- und Mediaplanung ab.
Die vorgestellten Effekte dürften vielen Lesern schon bekannt sein – mittlerweile gibt es ja eine ganze Reihe von populären Fachbüchern, die sich mit Verzerrungen, Heuristiken und Denkfehlern beschäftigten, angefangen bei Nobelpreisträger Daniel Kahnemann und noch lange nicht endend beim deutschen Kolumnisten Ralf Dobelli. Die gedankliche Tiefe solcher Autoren findet man bei Shotton nicht. Er ist ein grandioser Vereinfacher, der nur selten die berichteten Befunde kritisch hinterfragt. Für ihn ist das, was er „Behavioral Sciences” nennt, ein großer Supermarkt von Wirkungsmechanismen, die er wie in einer Nummernrevue aneinanderreiht.
Dagegen ist nichts einzuwenden, denn diese Darstellungsform kommt den unter Zeitnot leidenden Managerinnen und Managern vermutlich sehr entgegen. Shotton betont immer gerne die Wissenschaftlichkeit seiner Tipps – denn sie basieren in erster Linie auf Grundlagenforschung aus den Bereichen experimentelle Ökonomie und Sozialpsychologie. Erfrischend ist der Verzicht auf jede Art von neurowissenschaftlichem Jargon, mit den Zeitgenossen wie Martin Lindstrom oder Hans-Georg Häusel ihre Bücher befrachten.
Ergänzt werden die Referate aus der Wissenschaft mit den Resultaten von Shottons eigenen Studien, meist kleine Experimente. Über die gibt er nur wenig Informationen preis, was ein bisschen dem Anspruch von Wissenschaftlichkeit widerspricht, den der Autor ansonsten aufrecht zu erhalten versucht. Immerhin diskutiert er in einem Kapitel auch ein wissenschaftstheoretisches Thema, nämlich die Replikations-Krise: Die Tatsache, dass viele berühmte Effekte der Psychologie nicht durch Wiederholungsstudien bestätigt werden konnten. Zu groß ist die Demut aber nicht. „Viele Marketing-Entscheidungen benötigen keine 95-prozentige Sicherheit“, so stellt Shotton relativierend fest. Marketing ist eben keine Wissenschaft, kann aber von den Verhaltenswissenschaften inspiriert werden.
Der Autor versucht, die Essenz der jeweiligen Studien und Modelle zu erfassen, und bietet gleichzeitig sehr einfache, pragmatische Tipps zur praktischen Umsetzung. Dabei denkt er manchmal etwas zu einfach, als ob ihm die Fantasie für einen smarteren Insights-Transfer fehlen würde. Aber die Aufgabe eines guten Management-Buches liegt nicht darin, fertige Instant-Maßnahmen zu liefern, sondern Anregungen zum Nachdenken zu geben. Das Werk füttert deshalb unsere eigene „Choice Factory“ (womit unser meist unbewusst arbeitendes Gehirn gemeint scheint), damit wir bessere Marketing-Entscheidungen treffen können.
Richard Shotton: The Choice Factory – 25 behavioural biases that influence what we buy; Harriman House, Hampshire 2018, 202 Seiten, ca. 18 €, ISBN 978-0-85719-609-5