Ein Markenbuch – nicht das erste und nicht das ehrlichste

Buchkritik:

„Marke ohne Mythos“ von Zschiesche & Errichiello –   

Ein großes Versprechen: In den Händen halten wir, laut Untertitel, das „erste ehrliche Markenbuch“. Die Autoren Arnd Zschiesche und Oliver Errichiello betreiben eine Beratungsfirma für Markenführung (auf dem Backcover werden sie als „Markenpunks“ bezeichnet, auch wenn sie dafür schon etwas zu alt und bieder aussehen) und haben schon mehrere Bücher veröffentlicht.

Das nun vorliegende heißt „Marke ohne Mythos“ und will dem Leser erklären, was im normalen Marketing-Alltag alles falsch gemacht wird – die Autoren sprechen hier gerne von der „Wertevernichtung“. Dabei bekommen alle ihr Fett weg: Marketingleute, Controller, Vertriebler, Top-Manager und vor allem die Werber und Agenturmenschen.

In witzelnder Manier werden die alltäglichen Fehlleistungen der Branche kolportiert. Dazwischen sagen die Autoren aber auch, wie man es richtig macht. Marken lebten aus sozialer Anziehungskraft, seien positive Vorurteile und bräuchten Grenzen. Eine klare Absage geht an alle Bestrebungen, Marken in sozialen Medien zu demokratisieren – Marken seien eben nicht demokratisch, sondern autoritär. Eine soziale Anziehungskraft, bekommen Marken, wenn sie „selbstähnlich“ sind – so ein Lieblingswort der Autoren.

Das heißt etwas vereinfacht gesagt: Eine Marke muss sich selbst treu bleiben, muss Kontinuität bewahren, darf nicht verwässert werden und muss jeden Tag neu ihr Leistungsversprechen im täglichen Umgang einlösen. Die Autoren argumentieren wortreich gegen unnötige Markenerweiterungen und das häufige Wechseln von Claims und Kampagnen. Auch sei es ein Fehler, immer nur Neukunden ins Visier zu nehmen. Die eigene Kundschaft müsse durch Werbung an die Marke gebunden werden, denn nur sie löse bei anderen eine soziale Sogwirkung aus.

In dem Buch bekommt man viele wertvolle Anregungen, die helfen, über Marken genauer nachzudenken. Gerade die eher soziologische Perspektive, die nicht wie so manche Neuromarketing-Bestseller alles mit angeborenen Trieben und unbewussten Belohnungsmustern zu erklären versucht, ist eine inspirierende Sichtweise.

Allerdings auch keine neue: Die Autoren schöpfen sie fast vollständig aus den Büchern von Alexander Deichsel und Klaus Brandmayer, die nur vereinzelt zitiert werden (so viel zum Thema: „Das erste ehrliche Markenbuch“). Deichsel und Brandmayer propagieren bereits seit Jahrzehnten eine Markentechnik, die auf Soziologie und Gestaltpsychologie aufbaut. Da deren Werke heute zum Teil vergriffen sind, ist gar nichts einzuwenden, wenn die Ideen der soziologisch-orientierten Markenlehre in einem neuen Buch popularisiert werden.

Die Autoren vermeiden es auch, eine theorie- und fachwortlastige Abhandlung zu liefern. Allerdings fehlt dem Buch von Zschiesche und Errichiello eine klare Struktur und Gliederung, die es dem Leser dann doch etwas schwer macht, den Gedankengängen zu folgen. Stattdessen lieben die Autoren pointierte Sprüche und kurze Merksätze – und übersäen ihr Buch damit.

Auf jeder Seite werden am oberen und unteren Rand solche Aphorismen platziert, manchmal auch noch in Headline-Größe dazwischen. Bei 240 Seiten macht das über 500 solcher Aussprüche – die Würze der Kürze wird durch die Überfülle ziemlich fade. Die Autoren sind mit Sicherheit faszinierende Keynote-Speaker und in einem kurzen Essay oder Artikel wäre ihre Art der Pointierung und Gags einzustreuen sicherlich angebrachter als bei einem Buch mit mehr als 240 Seiten.

Es wäre besser, wenn der durchaus interessante Inhalt strukturierter und auf das Wesentliche reduziert dargeboten würde – und lustiger Weise haben die Autoren auch genau das geliefert, nämlich in dem schlanken Bändchen „30 Minuten Markenführung“ (ebenfalls im GABAL Verlag). Hier wird auf weniger als 100 Seiten im Westentaschenformat alles Relevante aus „Marke ohne Mythos“ fein gegliedert und ohne Sinnsprüche, Ausschmückungen und unnötiger Witze erläutert.

Ob dieser Band mit der Kurzversion das ehrlichere Markenbuch ist, weiß ich nicht, aber das lesbarere ist es auf jeden Fall – und das Preis-Leistungs-Verhältnis ist mit 8,90 Euro unschlagbar.

Dirk Engel und Robert Schützendorf

Arnd Zschiesche/Oliver Errichiello: „Marke ohne Mythos – Das erste ehrliche Markenbuch oder warum so viele Menschen einen Mini brauchen“, Gabal Verlag, Offenbach 2013, 264 Seiten, 29,90 EUR, ISBN 978-3-86936-476-6.

UPDATE 2021:

Bevor ich diese Buchkritik schrieb, traf ich Robert Schützendorf, der von einigen zurecht als „Vater der strategischen Planung in Deutschland“ bezeichnet wird. Zufällig hatte er das Buch auch bereits gelesen und wir unterhielten uns darüber. Seine Gedanken flossen so in den Text ein, weshalb ich ihn als Co-Autor erwähnte. Insbesondere die Bezüge zum Markentechnik-Ansatz von Deichsel & Brandmayer gehen auf sein Konto. Schützendorf starb 2015, sein kritischer Blick und seine pointierten Beobachtungen fehlen mir sehr. Wer mehr von ihm lesen will, sollte sich sein Buch „Werbewirkung und Mediaplanung“ anschauen, dass er mit seinem engen Freund Gerhard Turcsanyi geschrieben hat. Zu diesem Buch habe ich eine Rezension veröffentlicht.