Media-Mythen gegen den Strich gebürstet

Buchkritik:

„Werbewirkung und Mediaplanung“ von Gerhard Turcsanyi und Robert Schützendorf:

Das vorliegende Buch wurde von zwei Schwergewichten der Mediabranche geschrieben. Robert Schützendorf ist ein Experte für Werbewirkungsforschung und Pionier der strategischen Mediaplanung – als solcher trat er auch schon bei vielen Events der Werbebranche auf. Und Gerhard Turcsanyi ist in Österreich eine Institution – als Mediaforscher und Organisator von Konferenzen und Nachwuchs-Workshops hat er seit Jahrzehnten die österreichische Mediaszene geprägt.

Beide haben ein Talent, Probleme sowohl analytisch zu durchschauen wie auch pointiert und meinungsstark zusammenzufassen. Genau das liefern die Texte in ihrem gemeinsamen Buch „Werbewirkung und Mediaplanung“. Es ist eine Übung in klarem Denken: Im Alltag oft vage verwendete Begriffe wie Effektivität, Effizienz oder ROI werden auf ihren eigentlichen Inhalt hin abgeklopft, viele ungeprüfte Mythen der Planungspraxis werden in Frage gestellt.

Dabei berufen sich die Autoren immer Forschungsergebnisse, wenn sie ihre Sicht der Dinge präsentieren. Manchmal zeigen sie dabei auch einen fast missionarischen Eifer: Gerhard Turcsanyi etwa ist ein Verfechter des Recency-Plannings, bei dem die Netto-Reichweite wichtiger ist als eine hohe Anzahl von Durchschnittskontakten. Basierend auf umfangreichen Studien amerikanischer Forscher, ist eine der Kernthesen, dass bei etablierten Marken der letzte Werbekontakt vor dem Kauf der entscheidende sei. Deshalb sollten möglichst viele Menschen kontinuierlich erreicht werden – also eine Maximierung der Kampagnen-Wochen-Anzahl bei niedrigen GRP-Levels. Ein Kontakt reicht aus – wenn er zum richtigen Zeitpunkt stattfindet. Auch andere Planungsprinzipien werden in den Texten des Buches propagiert: Ein konsequenter Mediamix oder auch der Einsatz von Gratis-Medien, die besser als ihr Ruf seien (denn nicht der Kaufpreis sondern die Funktionen, die ein Medium für den Nutzer hat, sind ausschlaggebend).

Einige Ausführungen beziehen sich stark auf den österreichischen Markt (so gibt es dort Gratis-Zeitungen mit hochwertiger lokaler Berichterstattung), die meisten sind jedoch auch für den deutschen Markt relevant. Man muss nicht allen Punkten der Autoren immer zustimmen, aber jeder Mediaplaner sollte über die Themen, die sie ansprechen, einmal gründlich nachgedacht haben. Dieses Buch regt dazu an, die eigenen eingefahrenen Faustregeln und Planungsroutinen einmal gegen den Strich zu bürsten, darin liegt sein großer Wert.

Den Anspruch, ein Kompendium – also ein kurzgefasstes Lehrbuch – für die Branche zu sein, wird es aber leider nicht ganz gerecht: Man merkt vielen der Texte an, dass sie als Vorträge oder Glossen in einem anderen Zusammenhang entstanden sind. Trotz der Gliederung ist ein roter Faden nicht wirklich erkennbar und für ein Lehrbuch sind auch die Themen nicht vollständig abgehandelt – die Auswahl der Inhalte spiegelt sehr stark die persönliche Agenda der Autoren wieder. Einige Argumente werden an verschiedenen Stellen wiederholt – was das Erinnern sicherlich fördert, auch wenn es der Philosophie des Recency-Ansatzes widerspricht, bei dem ja auf hohe Kontaktfrequenzen verzichtet wird.

Trotz dieser Mängel liefert das Buch von Schützendorf und Turcsanyi aber eine anregende Lektüre – vielleicht sollten die Kapitel und Abschnitte eher einzeln gelesen werden anstatt im Zusammenhang, dann liefern sie wohldosierten Stoff zum Nachdenken.

Gerhard Turcsanyi / Robert Schützendorf: Werbewirkung und Mediaplanung – Kompendium für Praxis und Lehre; Nomos Verlagsgesellschaft (Reihe Praxisforum Medienmanagement, Band 18); Baden-Baden 2013,  202 Seiten, 34,00 €, ISBN 978-3-8329-7918-8

UPDATE 2021:

Wenn ich heute diese Buchkritik lese, erscheint sie mir etwas streng. Das liegt auch daran, dass die Autoren des Buches nicht mehr unter uns sind. Gerhard Turcsanyi starb 2020, Robert Schützendorf bereits 2015. Ihre Persönlichkeit und Sicht der Welt flossen in die Texte des Buches ein. Natürlich führte das zu keinen stringenten Lehrbuch – aber dafür haben wir die individuellen Gedanken dieser beiden herausragenden Menschen. Wie kostbar das ist, wird erst jetzt klar, wo sie uns fehlen.

Gerhard Turcsanyi war ein versierter Mediaforscher und Unternehmer. Sein Engagement in Österreich für den Branchen-Nachwuchs ist beispiellos – jährlich lud er junge Mediaplanerinnen und Mediaplaner zu seinem „The Media Workshop“ ein, wo sie zwei Tage lang in zusammengewürfelten Teams ein Media-Planspiel unter realistischen Bedingungen absolvierten, ergänzt um Vorträge und Networking mit Experten aus der Branche. Eine vorbildliche Initiative – bis heute hat leider in der großen und reichen deutschen Werbebranche keiner diese Idee importiert. Glücklicherweise wird „The Media Workshop“ von Markus Hartl und der von Gerhard gegründeten Beratungsfirma TMC weitergeführt.

 

Zu Zeiten, als in Deutschland kaum einer wusste, was Strategic Planning oder Account Planning ist, gab es bereits einen deutschen Experten: Robert Schützendorf. Seinen Werdegang kann man in den Nachruf in w&v nachlesen. In den letzten Jahren machte seine Gesundheit es Robert nicht leicht, seine vielen Pläne und Ideen noch zu Papier zu bringen. Seine Einsichten und Einschätzungen waren immer von Scharfsinn und gesunden Menschenverstand geprägt, untermauert durch ein umfassendes Wissen über Marketing und Medien. Er gehörte zu den kleinen Zirkel der Intellektuellen der Werbebranche, ohne dabei abgehoben oder praxisfern zu sein. Heute muss man lange suchen, um jemanden wie ihn zu finden.

Wir müssen Prof. Helmut Kammerzelt von der FH St. Pölten danken, dass er die Texte seiner beiden Lehrbeauftragen Turcsanyi und Schützendorf zu diesem Buch zusammengefasst hat. So können wir immer noch von ihren Gedanken profitieren.