Wie Top-Entscheider Medien nutzen

Im Frühjahr 2005 habe ich einen Artikel für die HORIZONT-Beilage zum Thema Fachmedien geschrieben. Es ging dabei um die Mediennutzung von Entscheider-Zielgruppen, u.a. referierte ich Ergebnisse aus der qualitativen, internationalen UM-Studie „A View From The Board“. Auch nach einigen Jahren sind die meisten Erkenntnisse immer noch gültig, deshalb gibt es hier den Beitrag nochmal im Volltext.

Wie Top-Entscheider Medien nutzen

Die Mediennutzung von Top-Manager war lange Zeit ein weißer Fleck auf der Landkarte. Qualitative Forschung hilft, die Mediaplanung an den speziellen Bedürfnissen dieser sensiblen Zielgruppe auszurichten.

Gerade hat die CEBIT wieder ihre Tore geschlossen. Wie jedes Jahr wurden zahlreiche Neuerungen präsentiert, die es den viel beschäftigten Manager ermöglichen, seinen Geschäften immer und überall nachzugehen. Entscheidungsträger in der Wirtschaft stecken in einem Dilemma. Zum einen sind sie auf Informationen angewiesen – und die Menge an relevanten Nachrichten und Fakten steigt kontinuierlich an. Zum anderen hat auch für einen Top-Manager der Tag nur 24 Stunden und die Woche nur 7 Tage. Woher die Zeit nehmen, alle wichtigen Informationen zu verarbeiten?

In diesem Zusammenhang wird oft der Sinn oder Unsinn von Werbung für Entscheider-Zielgruppen diskutiert. Ist es überhaupt noch vernünftig, Werbung in klassischen Medien zu schalten, wenn die Zielpersonen immer weniger Zeit haben, die sie mit Medien „vertrödeln“? Werden nicht in absehbarer Zeit die Medien, wie wir sie kennen, aus dem Manager-Alltag verschwunden sein? Werden Tageszeitungen, Wirtschaftspresse und Nachrichtensendung bald ersetzt durch neue mobile Technologien, die es erlauben, schnell und effizient nur die Informationen abzurufen, die wirklich relevant sind? Wird nicht jedes Jahr auf der CEBIT eifrig am Grab geschaufelt, in dem bald die klassischen Entscheidermedien liegen werden?

Eine der Herausforderungen der Zukunft wird es sein, Entscheidungsträger effektiv und effizient mit Werbebotschaften zu erreichen. Doch wissen wir dazu genug über die Medi-ennutzung dieser immer noch hoch attraktiven Zielgruppe? Tatsächlich wird die Informa-tionslage dünner, je höher die Manager in der Hierarchie stehen. Der Grund dafür: Top-Manager haben besseres zu tun, als Fragebögen auszufüllen, dementsprechend werden sie in den gängigen Mediastudien nicht adäquat abgebildet.

Das gilt selbst für so wichtige Studien wie LAE oder Communication Networks. Man kann zwar getrost davon ausgehen, dass mit Hilfe der LAE schon die richtigen Zeitungen und Zeitschriften selektieren werden, die auch in der obersten Führungsetage gelesen werden. Doch im sich schnell wandelnden Kommunikationsumfeld unserer Tage benötigen wir noch weitere Informationen, um das Medienverhalten der Topmanager umfassend beurteilen zu können. Denn bloße Reichweiten reichen nicht aus, um das komplexe Gefüge von Medien im Leben von Ma-nagern richtig zu verstehen.

Universal McCann hat aus diesem Grund eine eigene Studie ins Leben gerufen, die Top-Entscheider ins Visier nimmt. Mit Unterstützung von sechs internationalen Medien war Universal McCann in der Lage, eine umfangreiche qualitative Befragung von 150 so genannten C-Level-Managern durchzuführen. Die folgenden Medien waren dabei unsere Kooperationspartner: Die Zeitschriften TIME und The Economist, die Tageszeitungen Fi-nancial Times und International Herald Tribune, sowie die TV-Sender BBC World und CNN. Die Leitung hatten die Mediaforscher von Universal McCann in New York.

Gemäß der Philosophie von Universal McCann wollten wir Medien aus der Perspektive der Nutzer sehen, daher auch der Titel „A View from the Board“. Die Befragten kamen aus den wichtigsten Business-Metropolen Nordamerikas, Europas und Asiens. Die Interviewpartner wurden aus den jeweils nach Umsatz und Mitarbeiterzahl größten Unternehmen des jeweiligen Landes rekrutiert. Ziel war es, möglichst viele hochrangige Manager zu erreichen, so genannte C-Levels (CEO, CFO etc.) oder nur einer Hierarchiestufe darunter. Wichtige Forschungsfragen waren: Die Mediennutzung der Top-Manager, Funktion und Bewertung der unterschiedlichen Mediengattungen, der Tagesablauf der Zielgruppe und die Identifikation von Situationen, in denen die jeweiligen Medien bedeutsam sind.

Das sind genau die Fragestellungen, die durch pannationale Reichweitenstudien wie „European Business Readership Survey“ oder nationale wie die LAE nicht erfasst werden. Solche Studien haben das Ziel, die Nutzerschaft von bestimmten Medien abzubilden, weshalb sie sehr medienzentriert angelegt sind. „A View from the Board“ nimmt hingegen eine konsequente Nutzer-Perspektive ein, so dass hier alle relevanten Medien aus Sicht der Befragten thematisiert werden, also auch Internet, Fachzeitschriften und neue Medien.

Motive für Mediennutzung – oder warum B-to-B-Werbung nichts auf dem Golfplatz zu suchen hat

Medien bedienen bestimmte Bedürfnisse, die man bei Managern grob in berufliche, persönliche und private Bedürfnisse einteilen kann. Bei den beruflichen Bedürfnissen geht es um geschäftliche Dinge: Was ist für meine Firma oder meine Branche wichtig? Wie kann ich die richtigen geschäftlichen Entscheidungen treffen? Dahingegen kreisen private Be-dürfnisse um das Privatleben, die Familie und die eigenen vier Wände: Was ist für mich als Mensch (und nicht als Funktionsträger oder Manager) und für meine Familie wichtig? Zwischen diesen beiden Sphären sind die persönlichen Bedürfnisse angesiedelt. Sie sind mit der Person des Managers im beruflichen Kontext verbunden: Was ist für mein per-sönliches Fortkommen im Job wichtig? Wie kann ich meinen Job besser machen?

Selbstverständlich überlappen sich diese drei Bedürfnis-Bereiche. Medien helfen, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Es gibt Medien, die mehrere Bedürfnisse gleichzeitig erfüllen, wie es auch Bedürfnisse gibt, die von mehreren Medien abgedeckt werden. Die Lokalzeitung wird in erster Linie für die privaten Bedürfnisse verwendet („Was passiert in meiner Nachbarschaft?“), Fachzeitschriften haben dagegen oft einen mehr beruflichen Schwerpunkt.

Die klassische Entscheiderpresse bedient mehrere Bedürfnisse. Welche das sind, ist von Titel zu Titel unterschiedlich. So liefern überregionale Tageszeitungen und General-Interest-Zeitschriften (SPIEGEL, Focus, Stern) eine Mischung aus business-relevanten und privatleben-relevanten Informationen. Wirtschaftszeitschriften liefern ebenfalls Business-Informationen, aber auch viele Beiträge die über das Tagesgeschäft hinausgehen und deshalb eher den „Personal Needs“ dienen.

Die persönlich relevanten Informationen umfassen dabei ein weites Spektrum – von dem effektiven Sammeln neuer Ideen bis hin zu Themen für den obligatorischen Small-Talk mit Gesprächspartnern aus aller Welt. Einige wichtige Themenbereiche sind zum Beispiel neue Management-Methoden, Interviews mit prominenten Führungsfiguren, Best Practice Case Studies aus anderen Bran-chen, Weiterbildung und Buchbesprechungen.

Eine Vermischung der Privat- und der Business-Sphäre lehnen die meisten C-Level-Manager ab. Das zeigt sich zum Beispiel am Wochenende – hier dienen Medien in erster Linie den „Private Needs“. Da unterscheidet sich der Top-Manager wenig von „normalen“ Menschen: Er schaut die gleichen Familiensendungen im Fernsehen, wie alle anderen – „Wetten, dass?“ und „Wer wird Millionär?“. Die Auswahl wird bewusst der Familie über-lassen. Alle „Business Topics“ sind hier nur störend. Das gleiche gilt für Medien, die um Hobbies und Liebhabereien zentriert sind: Wer eine Golfer-Zeitschrift liest oder ein Magazin für Yachtbesitzer, der möchte darin nicht an seinen beruflichen Alltag erinnert wer-den. Dementsprechend fällt herkömmliche B-to-B-Werbung durch das Raster der Aufmerksamkeit.

Geschäftsreisen als „Primetime der Mediennutzung“

Ein wichtiger Forschungsgegenstand bei der Studie „A View from the Board“ war der Tagesablauf der Befragten. Auch unsere anderen Studien – allen voran unsere internationale Erhebung „Media in Mind“ – zeigen wie wichtig es ist zu wissen, wie Medien in die alltäglichen Routinen eingebunden sind. Deshalb sollten die Befragten dem Interviewer ihren Tag schildern.

Der läuft in den untersuchten Ländern sehr ähnlich ab, was auf eine Homogenierung des Lebens- und Arbeitsstils in dieser gehobenen Zielgruppe hinweist. Allerdings gibt es schon noch ländertypische Unterschiede: Während in den USA und Europa das Frühstück für die Mediennutzung wichtig ist, so ist in Asien vielmehr der Weg zur und von der Arbeit bedeutsam.

Während des Tages haben nur die wirklich harten Business-Infos eine Chance genutzt zu werden – hier bekommen Fachzeitschriften eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Der Abend gilt eher der Entspannung und ist eher durch eine bewusste Vermeidung von Medien geprägt. Das gilt, wie oben schon angedeutet, auch für das Wochenende, an dem Medien nur der Familie zuliebe genutzt werden.

Die eigentliche „Medien-Primetime“ findet bei den C-Level-Managern auf Reisen statt. Geschäftsreisen haben eine Zwitterstellung zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Top-Manager dürfen diese Zwischenperioden nicht müßig verstreichen lassen, sondern nutzen sie produktiv mit Medien. Deshalb gaben nahezu alle Befragten an, während Geschäftsreisen mehr Zeit mit Medien zu verbringen als sonst.

Doch dient diese Mediennutzung nicht nur den beruflichen Bedürfnissen und fast nie den rein privaten. Es sind eher die persönlichen Bedürfnisse, die dabei im Vordergrund stehen: Nicht nur Information, sondern auch Inspiration – etwa Artikel über Zukunftsprognosen, neue Technologien, sowie Einblicke in die Kultur des Landes, das man besucht, werden daher gerne aufgenommen.

Spezielle Muster der selektiven Mediennutzung

Um das grundlegende Dilemma – immer mehr Informationen in immer weniger Zeit – meistern zu können, haben alle befragten Manager eigene Wege gefunden, mit der Informationsflut umzugehen. Ihr Mediennutzungsverhalten ist extrem selektiv. Dabei gibt es sowohl Methoden der Vorselektion wie auch der selektiven Nutzung bzw. selektiven Aufmerksamkeit.

Eine Vorselektion erfolgt zum Beispiel dadurch, dass bestimmte Medien nicht selbst genutzt werden, dafür aber Mitarbeiter relevante Artikel auswählen und dem Top-Manager vorlegen. Die Bedeutung von Pressespiegeln und kopierten Fachartikeln im Umlauf sollte man nicht unterschätzen. Einige Unternehmen haben diese Filterung für alle Mitarbeiter institutionalisiert – z.B. durch ein Intranet, was alle relevanten Nachrichten sammelt. Und selbst in den privaten Bereich haben nicht wenige Manager das Prinzip übernommen – da sammelt die Familie die interessanten Beiträge z.B. aus den Feuilletons der Zeitungen.

Aber auch bei Lesen selbst wird selektiv ausgewählt – es wird geblättert und überflogen, wobei nur die wirklich relevanten Artikel ganz gelesen werden. Dieses Verhalten nennt man auch „Skimming“ – man schöpft sprichwörtlich den Rahm ab. Viel Werbung fällt sehr schnell durch diesen Filter, allerdings werden relevante Werbebotschaften trotzdem wahrgenommen. Die Fähigkeit, auf Anhieb die Relevanz einer Medienbotschaft (sei es Anzeige oder redaktioneller Beitrag) zu erkennen, sind sehr gut trainiert.

Wenn es ein Thema gibt, welches das Interesse erregt hat, dann will man oft mehr darüber erfahren. Über einen internationalen Konflikt möchte man z.B. auch die Perspektive unterschiedlicher Länder kennen lernen. Über eine wirtschaftspolitische Kontroverse sucht man auch Leitartikel mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung. Dieses Muster nennt man Cross-Checking und das ideale Medium dafür ist das Internet. Hier findet man im Idealfall auch die Online-Versionen solcher Medien, die man normaler Weise nicht nutzt.

Multitasking ist ein anderes wichtiges Muster, was Manager (und nicht nur die) perfektioniert haben. So werden beim Autofahren die Wirtschaftsnachrichten gehört, beim Telefonieren die Illustrierte durchgeblättert, im Hotel beim Zähneputzen der Fernseher eingeschaltet. Doch hat hier das Mobiltelefon oder der Blackberry an Bedeutung gewonnen – beides wird oft parallel zu Medien genutzt.

Warum Fachzeitschrift und Tageszeitung nicht verschwinden werden

Wie ein Medium von Top-Managern bewertet wird, hängt stark von den oben beschriebenen Faktoren ab:
Welche Bedürfnisse werden befriedigt (Business, Personal oder Private Needs)?

Wie gut kann man die Selektionsmechanismen anwenden – Radio erlaubt z.B. Multitasking, Zeitschriften mit klarer Struktur, guten Inhaltsverzeichnis und um-fangreichen Register vereinfachen z.B. das Skimming.

Sind die Medien zu der Zeit verfügbar, in der sie genutzt werden können? Eine Wirtschaftssendung am Wochenende kann dabei genauso unpassend sein wie eine unhandliche Tageszeitung im Flugzeug.

Fressen diese Medien Zeit oder erlauben sie es dem Manager, seine Zeit effektiver zu nutzen? Eine Zeitschrift, die eine gute Mischung aus Themen anbietet und dabei sowohl die „Business Needs“ wie auch die „Personal Needs“ befriedigt, kann z.B. eher als zeitsparend eingeschätzt werden.

Printmedien entsprechen diesen Anforderungen nach wie vor sehr gut. Deshalb sind C-Level-Manager weltweit (aber besonders stark in Europa) sehr printorientiert. Dementsprechend sind Wirtschafts- und Nachrichtenmagazine, Fachzeitschriften und überregio-nale Tageszeitungen nach wie vor wichtige Werbeträger für B-to-B-Werbung. Doch können neue technische Entwicklungen durchaus hier zu Verschiebungen führen und die Funktion der einzelnen Mediengattungen ändern.

Wenn man diese Erkenntnisse – die hier natürlich aus Platzgründen nur sehr oberflächlich dargestellt werden können – noch einmal überdenkt, dann liefern sie auch Hinweise für die Medienanbieter. Worauf müssen die klassischen Wirtschaftsmedien vorbereitet sein, wenn sie auch in Zukunft der geeignete Werbeträger für Entscheider-Kampagnen sein wollen?

Sie müssen in ihrer Struktur und Handhabbarkeit so beschaffen sein, dass sie die selektiven Nutzungsroutinen der Manager entsprechen. Der Leser muss durch blättern und überfliegen in der Lage sein, die für ihn relevanten Infos herauszufiltern.

Unabhängig vom eigentlichen „Muttermedium“ (z.B. eine gedruckte Zeitung) sollte es Möglichkeiten zur persönlichen Filterung oder Cross-Checking geben: Z.B. einen Online-Zugang zu Datenbanken, das Anfordern von Dossiers etc. Moderne Medienmarken liefern nicht einfach nur eine Zeitung oder Zeitschrift, sondern ein Bündel von attraktiven Informationsdienstleistungen, die schnell und einfach bei Bedarf genutzt werden können.

Da Manager ihre Zeit nicht nach Medien ausrichten, müssen sich die Medien nach den Managern orientieren. Ihre Inhalte sollten zeitlich unabhängig in der einen oder anderen Form verfügbar sein. Auch ein Artikel aus einer älteren Ausgabe kann plötzlich beim Aufkommen einer neuen Fragestellung interessant sein. Dann muss es die Möglichkeit geben, diesen Text schnell und bequem zu beschaffen – über das Internet, als Fax oder per Post. Praktisch sind auch Hinweise unter einem Artikel, die auf bereits erschienene Beiträge zum selben Themenkomplex verweisen.

Ein Trend zeichnet sich schon ab: In Zukunft werden automatische Filtersysteme wichtiger, etwa personalisierte Newsletter oder Websites, die anhand eines er-stellten Profils relevante Informationen bereits vorselektieren und zur Verfügung stellen. Bei den Interviews zu der Studie „A View from the Board“ hatten zwar nur wenige Befragte solche Dienste bereits genutzt. Doch diese Nutzer sagten über-einstimmend aus, dass sie in Zukunft nicht mehr darauf verzichten wollen. Die klassischen Medien müssen also überlegen, welche entsprechenden Angebote sie ihren Nutzern machen können und über welche Kanäle sie bereitgestellt werden.

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