Wo Meffert draufsteht, ist McKinsey drin

Buchkritik:

„Eins oder null“ von Jürgen & Heribert Meffert –

Manchmal hat man den Eindruck, die deutsche Betriebswirtschaftslehre hinkt der aktuellen Entwicklung hinterher. Denn das, was sich als Wissen der Zunft in den BWL-Lehrbüchern manifestiert, spiegelt oft nicht mehr die aktuelle unternehmerische Realität wider. Das gilt ebenso für die Unterdisziplin Marketing. Theorie und Lehre scheinen die Umwälzungen der Digitalisierung nicht wirklich verarbeitet zu haben. Ihre alten Rezepte passen immer weniger – das hat selbst der Begründer der deutschen Marketing-Wissenschaft Heribert Meffert vor einiger Zeit in einem HORIZONT-Interview angedeutet. Marketing sei heute keine Funktion der Unternehmensführung mehr, sondern konzentriere sich eher auf taktische Kommunikation. Wird es gar in Zukunft ein Appendix der IT?

Die universitäre Marketingwissenschaft kämpft mehr oder minder stark darum, den Anschluss an die digitalisierte Wirtschaft zu behalten. Zumindest der 80järhige Professor Meffert, gerne als Marketing-Papst tituliert, zeigt sich sichtlich bemüht, die neue Welt zu verstehen. Das beweist sein neues Buch: „Null oder Eins“. Es ist kein Lehrbuch für Studenten und kein wirtschaftswissenschaftliches Fachbuch. Es geht noch nicht einmal im Schwerpunkt um Marketing. Das Werk, das Meffert zusammen mit seinem Sohn herausgegeben hat und zu dem beide zahlreiche Texte beisteuerten, ist indirekt (und wahrscheinlich ungewollt) ein beachtenswertes Zeugnis für die Unsicherheit der BWL.

Es liefert eine Menge fundierte Informationen darüber, wie verschiedene Wirtschaftsbereiche sich durch die Digitalisierung verändern. Fast jedes Buzzword wird aufgegriffen – von Fintech bis E-Health. Gleichzeitig wird argumentiert, welche Veränderungen im Management notwendig sind, um im Wirtschaftsleben des 21. Jahrhundert mitzuhalten. Marketing ist dabei nur eines von vielen Themen. Agilität, Disruption, Offenheit – fast alles, was seit fünfzehn Jahren durch die meist amerikanischen Management-Bestseller propagiert wurde, findet sich in dem Buch, meist gut und klar beschrieben. Deshalb handelt es sich um eine hilfreiche Lektüre, da sie etwas Übersicht und Ordnung liefert.

Allerdings wirkt das Buch immer wie ein Kompendium für Unternehmensberater – und genau das ist es auch. Das Buch wurde von Top-Beratern von McKinsey geschrieben (Meffert junior gehört ebenso zu dieser Gruppe). Aus irgendwelchen Gründen vermied es der Verlag, die Marke „McKinsey“ auf das Cover zu heben. Stattdessen wurde die Marke „Meffert“ verwendet – sie steht für klassisches Marketing, Lehrbuchwissen und natürlich auch für Seriosität und Solidität. Ist das nur eine geschickte Marketing-Kooperation, um das Buch bei BWL-Absolventen attraktiver zu machen, denen bekannte Professorennamen Sicherheit geben? Oder haben wir hier ein aussagekräftiges Symptom? Dafür, dass die Management-Lehre wieder einmal von Consulting-Firmen geprägt wird. Die Unternehmensberater spielen die Hauptrolle, nicht die universitäre Wissenschaft. Diese – repräsentiert durch Prof. Meffert – kann bestenfalls staunend zusehen und ein paar allgemeine Kommentare beisteuern.

Jürgen Meffert / Heribert Meffert: Eins oder null – Wie Sie Ihr Unternehmen mit Digital@Scale in die Zukunft führen; Berlin 2017, Econ, 380 Seiten, 28,00 €, ISBN 978-3-430-20239-8