Desinformation statt Aufklärung

Buchkritik:

„Der (des)informierte Bürger im Netz“ von Wolfgang Schweiger –

Die Erwartungen waren groß und optimistisch: Als vor ca. zwanzig Jahren das Internet seinen Siegeszug begann, hofften nicht wenige auf ein neues Zeitalter der Aufklärung. Endlich könne jeder Zugriff auf alle Informationen bekommen, sich an Debatten und Diskussionen beteiligen, seine Meinung ohne viel Geld einem potenziell weltweiten Publikum zu Gehör bringen. Staatliche Zensur hätte keine Chance mehr, professionelle Journalisten würden als privilegierte Gatekeeper ausgedient haben, der zwanglose Zwang des besseren Argumentes könne sich in der digitalen Öffentlichkeit frei entfalten.

Heute ist ziemliche Ernüchterung eingetreten. Unbestreitbar hat die Digitalisierung unser Leben in vielen Bereichen verbessert, doch um den informierten Bürger im Netz steht es nicht zum Besten. Das ist die These des Kommunikationswissenschaftlers Wolfgang Schweiger, die er in seinem neuen Buch ausbreitet: Soziale Netzwerke wie Facebook & Co. fördern nicht den freien Fluss der Informationen, sondern erleichtern auch Desinformation und verzerrte Wahrnehmungen.

Der Autor macht es sich mit der Beweisführung nicht leicht: Er referiert eine Vielzahl von wissenschaftlichen Modellen und empirischen Befunden, die erklären, wie Menschen sich im Social Web informieren und welche Gefahren dabei bestehen. Sein Fazit: Viele Bürgern fehlt die Medienkompetenz, verantwortungsvoll an Debatten teilzunehmen und Informationsquellen kritisch zu prüfen. Die Praxis von Facebook, einem Nutzer möglichst solche Inhalte zu präsentieren, die seinen Interessen entsprechen, führt zu Bildung von sogenannten Echokammern: Es wird nur das gezeigt, was die eigene Meinung und die eigenen Vorurteile spiegelt – was wiederum diese verstärkt, zur Polarisierung und Immunisierung gegenüber konträren Meinungen beiträgt.

Statt authentischen Bürgerjournalismus, der eine Pluralität von Meinungen und Werten liefert, nutzen meist rechte Meinungsmacher die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke geschickt für Propaganda aus, die als solche nicht erkannt wird. Dadurch hat sich eine Gruppe in unserer Gesellschaft gebildet, die Schweiger als „politisierte Bildungsmitte“ beschreibt – Menschen mit geringer oder mittlerer formaler Bildung und zunehmend radikalen Ansichten. Sie finden in der Filterblase der sozialen Netzwerke eine Gegenwelt zu der herkömmlichen journalistischen Öffentlichkeit.

Die Schlussfolgerungen des Autors sind fundiert und bedenkenswert – im Gegensatz zu vielen plumpen internet-kritischen Traktaten, die gerade den Buchmarkt überschwemmen. Das liegt daran, dass sich Schweiger immer auf Forschung beruft und eine Vermischung mit Polemik vermeidet. Am Ende stellt er mögliche Auswege zur Diskussion: Etwa den Einsatz öffentlich-rechtlicher Suchmaschinen und Networks oder Informationskampagnen über die Gefahren einer verzerrten Meinungsbildung. Hier wird leider deutlich, dass digitale Aufklärung und digitale Desinformation zwei Seiten einer Medaille sind. Die in dem Buch aufgezeigten Probleme werden so schnell nicht verschwinden.

Wolfgang Schweiger: Der (des)informierte Bürger im Netz: Wie soziale Medien die Meinungsbildung verändern; Wiesbaden 2017, Springer, 214 Seiten, 19,99 €, ISBN 978-3-658-16057-9