Für die Fachzeitschrift HORIZONT-Sonderteil „Mediaplanung II“ (11.9.2008) wurde ich um ein Statement zur der damals diskutierten Vermarkter-Vorschläge, eine „Gesamt Content Reichweite“ für TV-Sendungen zu messen, in der neben dem linearen TV auch die Nutzung einer Sendung via Internet oder mobiler Geräte berücksichtigt werden sollte. Hier sind meine – natürlich kritischen – Anmerkungen zu dem Thema.
Bemühungen um eine TV-Gesamtreichweite/Markenreichweite
Interview für einen Artikel für den HORIZONT-Sonderteil „Mediaplanung II“ (ET: 11.9.08)
Die Fragen stellte Guido Schneider.
TV-Vermarkter und Verlage fordern eine TV-Gesamtreichweite bzw. Markenreichweite für ihre linearen TV- und im Web verbreiteten Inhalte. Inwiefern ist der Nachweis einer solchen medienübergreifenden Reichweite für die Planung relevant?
Ein solcher Wert besitzt im Augenblick wenig Relevanz für die Mediaplanung. Jedes Medium wird auf eine spezielle Art und Weise genutzt. Während man vor dem Fernsehgerät im Wohnzimmer in einer entspannten, aber passiven Haltung sitzt, wird das Internet eher für aktive Recherchen genutzt.
Nehmen wir auch noch die Nutzung von TV-Angeboten über mobile Geräte wie Handys hinzu, dann hat man in jedem Kanal ein ganz unterschiedliches Rezeptionsverhalten: Nutzt man seinen PC im Arbeitszimmer oder den Laptop an irgendeinem anderem Ort? Wird die Sendung live verfolgt oder On Demand herunter geladen? Schaut man ein Programm im Internet tatsächlich von Anfang bis Ende? Wie ist Werbung integriert? Ist das Rezeptionserlebnis unterschiedlich, wenn ich denselben Content auf einem riesigen Flat-Bildschirm oder auf einem winzigen Handy-Display sehe?
Mediaplaner interessieren auch im normalen TV Programmreichweiten nur am Rande, wichtiger sind die Werbeblock-Ratings. Wenn sich Werbung und der Umgang mit Ihr in jedem Kanal unterschiedlich ist, dann ist es sinnlos, aus den Einzelreichweiten eine undifferenzierte „Content-Reichweite“ zu erstellen. Ein solcher Wert mag für die Programmplanung durchaus hilfreich sein, für die Mediaplanung ist er höchstens relevant, wenn es tatsächlich in das Programm integrierte Werbung gibt, die in allen Kanälen vorkommt.
Allerdings muss man auch Veränderungen im Mediennutzungsverhalten berücksichtigen. Wenn die TV-Nutzung über Internet oder Mobilegeräte zunimmt – und sei es auch nur in einigen Zielgruppensegmenten – muss die Mediaforschung und Planung dem Rechnung tragen. Bevor neue Werte wie eine „Markenreichweite“ etabliert sind, ist aber erst einmal Grundlagenforschung notwendig, um den zielgruppenspezifischen Umgang mit den verschiedenen Distributionskanälen besser zu verstehen.
Kann ein solches Ansinnen methodisch überhaupt sauber gelingen? Die Sehbeteiligung im TV und der Abruf eines Online-Videos lassen sich doch eigentlich nicht unmittelbar miteinander vergleichen.
Wenn wir letztendlich feststellen könnten, dass X Millionen Personen einen bestimmten Film im TV gesehen haben und Y via Internet, dann wären das schon interessante Werte. Diese Zahlen aber zu einer undifferenzierten Gesamtreichweite zusammen zu basteln, scheint doch etwas fragwürdig zu sein. Jedes Medium hat seine Eigenarten, die eine unterschiedliche Methodik zur Reichweitenerfassung erfordert.
Wenn Web- oder Mobil-TV für Werbung relevant sind, dann erfordert das eine valide medienadäquate Kontaktmessung. Die so differenziert erhobenen Werte dann zu einem undifferenzierten Wert zusammenzufassen, bringt meiner Ansicht nach keinen Vorteil. Mittelfristig wird es noch mehr Veränderungen geben, die einen Einfluss auf die Reichweitenmessung haben werden – Digitales Fernsehen, zeitversetztes Sehen durch Festplattenrekorder etc.
Hier müssen die richtigen Methoden und Konventionen gefunden werden. Interessant ist, dass die TV-Vermarkter anscheinend ihren Anspruch bekunden, auch für die Messung von audiovisuellen Informationen im Web zuständig zu sein – was man durchaus hinterfragen darf.
Halten Sie es für denkbar, dass die Medienanbieter mit dem Ansinnen einer Markenreichweite mehr Kunden locken und letztlich höhere Preise durchsetzen können?
Das ist mit Sicherheit der Fall, denn Vermarkter lieben hohe Zahlen. Ich glaube aber nicht, dass der Markt so einfach höhere Preise akzeptiert, solange nicht geklärt ist, wie die tatsächliche Nutzung und Wirkung der Werbemittel in alternativer TV-Distribution funktioniert. Vor allem müssten die Werbeblöcke in jedem alternativen Distributionskanal analog der TV-Ausstrahlung ausgeliefert und von den Zuschauern nachweislich genutzt werden. Dann wäre eine Markenreichweite in Ordnung, solange auch die Werte für jeden einzelnen Distributionskanal auswertbar sind.
Wir vermuten aber schon, dass sowohl die Einbindung der Werbung wie auch die Nutzung oder Vermeidung auf Seiten der Zuschauer in jedem Kanal anders sein wird. Dann wäre eine Markenreichweite nur Augenwischerei.
Welche Auswirkungen haben die oben geschilderten Vorhaben der Medienhäuser auf die Diskussion um die intermediale Vergleichbarkeit der Medien?
Es sind zwei unterschiedliche Dinge, die man nacheinander behandeln muss: Die medienadäquate Erhebung und das Ausweisen von Reichweiten und Kontakten auf der einen Seite und eine intermediale Vergleichbarkeit für die strategische Mediaplanung auf der anderen Seite. Ersteres ist die Grundvoraussetzung von letzterem und hat deshalb Priorität. Wenn man vernünftige Zahlen für die neuen TV-Distributionskanäle hat, muss man überlegen, wie diese Zahlen bewertet und gewichtet werden, um einen Intermedia-Vergleich zu ermöglichen.