Warum Promis unsere Freunde sind

Buchkritik:

„Parasoziale Interaktion und Beziehungen“ von Tilo Hartmann –

Das Dschungel-Camp ist schon lange wieder von seinen Campern verlassen und doch stellt sich die Frage: Was fasziniert uns eigentlich so sehr daran, einige fremde Leute in einem Ferienlager zu beobachten? Was macht den Reiz dieser Sendung aus? Warum wollen wir Prominenten dabei zu sehen, wie sie am Lagerfeuer sitzen oder auf die Toilette gehen? Um uns einer Antwort zu nähern, schauen wir uns einmal an, was die Kommunikations- und Medienwissenschaft zu diesem Phänomen zu sagen hat.

Helfen kann uns dabei ein schmaler Band aus einer wissenschaftlichen Lehrbuchreihe, die kurz und knapp Theorien und Forschungsrichtungen der Disziplin beschreibt. In unserem Fall geht es um „Parasoziale Interaktionen und Beziehungen“ von Tilo Hartmann. Parasozial ist eine Beziehung dann, wenn es ein Ungleichgewicht besteht: Ich kenne einen Fernsehmoderator seit vielen Jahren, er begrüßt mich jedes Mal, wenn ich seine Sendung sehe – deshalb ähnelt dies einer „normalen“ sozialen Beziehung, wie ich sie zum Beispiel mit meiner Nachbarin habe. Doch während ich den Moderator beobachte, kann er mich nicht beobachten – deshalb spricht die Wissenschaft eben von einer para-sozialen Beziehung. Er kann auch nicht auf mein Verhalten reagieren – auch wenn er so tut, als ob, indem er typische Reaktionen antizipiert (wenn der Moderator im Frühstücksfernsehen etwa seinen Kaffeebecher prostend in die Kamera hält, weil er zu recht vermutet, viele seiner Zuschauer trinken ebenfalls Kaffee). Ein solches Verhalten nennt man eine parasoziale Interaktion. Die Kommunikationsforscher haben sich seit den 50er Jahren damit beschäftigt, das Lehrbuch von Hartmann stellt die Grundlagentexte, die Begriffe und Forschungsmethoden wohltuend verständlich dar – so das auch ein gutwilliger Laie sich in die Gedankengänge der Wissenschaftler hineindenken kann.

Was lernen wir nun über parasoziale Beziehungen zu Medienpersönlichkeiten? Wir haben zu den TV-Figuren eine enge Beziehung, die uns attraktiv und ähnlich erscheinen. Dabei geht es weniger um das Aussehen, sondern um eine Handlungsattraktivität (konnten sich die TV-Stars mit ihrem Verhalten erfolgreich behaupten?) und soziale Attraktivität (teilen die Promis die gleichen Werte und Normen wie wir?).

Nehmen wir die Stars in diesem Sinne als attraktiv wahr, kommt es zu einer Bindung. Die wird stärker, wenn die Medienpersonen möglichst realitätsnah gezeigt werden. Außerdem müssen die Zuschauer die Chance haben, deren Verhalten nicht nur oberflächlich wahrzunehmen, sondern auch intensiv zu verarbeiten. Letzteres ist nur möglich, wenn die Medienstars über einen längeren Zeitraum und in abwechslungsreichen Situationen gezeigt werden – also nicht nur in einem Kurzinterview innerhalb einer TV-Show, in dem sie uns ansonsten begegnen. Nun wird klar, was die Dschungel-Camp-Insassen so interessant macht: Wir sehen Leute, die wir bisher nur oberflächlich aus dem Fernsehen kennen, bei neuen, intensiven Erfahrungen. Hier zeigt sich, welchen Charakter sie haben und welche Werte ihnen wichtig sind. Plötzlich werden sie und sympathisch oder unsympathisch – je nachdem, ob wir die gleichen Werte teilen oder nicht. Dass die Dschungel-Stars dabei unbeobachtet erscheinen, steigert den Realismus, während die direkte Ansprache an ihre Fans wiederum die Bindung zu unseren Lieblingen verstärken kann.

Das Dschungel-Camp gibt uns also die Möglichkeit, Promis wirklich kennenzulernen – und das fasziniert uns vielmehr als die unappetitlichen Prüfungen (die nur einen Hintergrund abgeben, in denen die Promis ihren Charakter demonstrieren können). Es ist also keine Schadenfreude oder Voyeurismus, sondern die Chance zum intensiven Kennenlernen, die den Erfolg der Sendung ausmacht.

Tilo Hartmann: Parasoziale Interaktion und Beziehungen – Konzepte der Medien- und Kommunikationswissenschaft – Band 3; Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2010, 128 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-8329-4338-7