Der Klassiker der Sozialforschung

Buchkritik:

„Empirische Analyse des Handelns“ von Paul F. Lazarsfeld –  

Die Marktforschung ist eine Disziplin, die nur für den Augenblick arbeitet. Schon eine Marktstudie vom letzten Jahr lockt heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Deshalb gibt es auch keine Klassiker, keine kanonischen Texte, keine Legenden und nur wenige Gurus.

Soziologie und Wirtschaftstheorie kennen ihre Gründerväter und Meisterdenker gut und feiern sie gebührend. Die Arbeit des Marktforschers oder angewandten Sozialforschers verschwindet schnell wieder, wenn die Tagesaktualität vergangen ist. Umso verdienstvoller ist es, wenn einmal ein früher Vertreter der angewandten Forschung wiederentdeckt wird und seine Texte in einer aktuellen Ausgabe in deutscher Übersetzung vorgelegt werden.


Paul Lazarsfeld ist eine der Schlüsselfiguren der Sozialwissenschaft, doch seine Bücher sind heute kaum noch erhältlich, während die dicken Schwarten der Theoretiker immer bei den Buchverlagen vorrätig sind. Lazarsfeld war eben kein die Welt vergessender Wissenschafter, sondern ein Empiriker, der sein Material überall gefunden hat, auch und gerade in den Niederungen der angewandten kommerziellen Forschung.

Er ist ein Pionier der Mediaforschung, der schon in den 30-er Jahren die Wirkung des Radios untersuchte. Noch vor der Emigration gründete er ein Marktforschungsinstitut in Wien, und auch in späteren Jahren kehrte er immer wieder zu dem Thema Konsumentenverhalten zurück. Dass Lazarsfeld aber trotz all dieser empirischen Projekte auch für die Theorie wertvolle Beiträge schuf, in denen er die Resultate seiner zum Teil kommerziellen Projekte als fruchtbares Ausgangsmaterial für seine Überlegungen nahm, ist bisher wenig bekannt.

In dem Suhrkamp-Band „Empirische Analyse des Handelns“ sind einige seiner kleineren Texte versammelt, die aus vielen Jahrzehnten seines Schaffens zusammengetragen wurden. Dabei ist die Themenvielfalt beeindruckend: Es geht um Arbeitslosigkeit, Berufswünsche Jugendlicher, den New Deal, das Heiratsverhalten in Krisenzeiten, den Kauf von Seife und Anzügen, oder den Einfluss von Radiosendungen auf die Meinungsbildung.

Die gemeinsame Klammer dieser Beiträge besteht in der Erforschung des menschlichen Handelns – wie werden Entscheidungen getroffen, was beeinflusst Verhalten? Nebenbei werden auch heute noch wichtige methodische Fragen der angewandten Forschung behandelt – etwa die Art und Weise, wie man Indices bildet, um damit Konsumententypen zu bestimmen.

Dabei schreibt Lazarsfeld in einer klaren und auf das Problem fokussierten Sprache, die heute noch lesbar ist – kein abgehobenes Theorie-Gefasel, aber auch kein Aneinanderreihen von Tabellen und Zahlen. Sowohl die theoretischen Überlegungen als auch das konkrete Datenmaterial werden punktgenau präsentiert, um die Argumentation zu unterstützen. Dadurch bleiben die Texte lesenswert, auch wenn die referierten Befunde schon lange nicht mehr aktuell sind. Einige der Beiträge, etwa „Der psychologische Aspekt der Marktforschung“ von 1934, haben mit den Jahren an Frische nichts verloren. Wenn es einen Klassiker der angewandten Forschung gibt, der es verdient hat, dass seine Texte heute noch gelesen werden, dann ist es sicher Paul Lazarsfeld.

Paul F. Lazarsfeld: „Empirische Analyse des Handelns – Ausgewählte Schriften“, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; Frankfurt am Main 2007, 540 Seiten, 17,00 Euro, ISBN 978-3-518-29422-2