Die Handtasche – das unbekannte Land

Buchkritik:

„Privatsache Handtasche“ von Jean-Claude Kaufmann –   

Im modernen Wirtschaftsleben gibt es einen Kampf um die knappen Ressourcen der Verbraucher. Marken, Händler und Unternehmen buhlen um das Geld und die Aufmerksamkeit der Kunden. Doch es gibt noch einen Kampfplatz – die Handtaschen der Frauen. Der Platz darin ist begrenzt (was auch nicht durch den Besitz mehrerer Handtaschen aufgehoben wird), aber für Produkte attraktiv.

Denn was eine Frau in ihre Handtasche steckt, wird zum Teil ihrer Persönlichkeit, ist immer verfügbar und hilft ihr, den Alltag zu bewältigen. Was in die Tasche einverleibt wird, hat sich stark geändert: War es im früheren Jahrhundert vielleicht nur ein Taschentuch und ein Fläschchen Kölnisch Wasser, so präsentieren die Handtaschen im 21. Jahrhundert die moderne Markenwelt in einer Nussschale: Handys, Wasserflaschen, Bleistifte, Füller, Kugelschreiber, Papiertaschentücher (trocken und feucht), verschiedenste Kosmetikartikel, Büroklammern, Parfüm (auch mehrere, inklusive Proben), Tampons, Heftpflaster, Aspirin und andere Medikamente (inkl. Salben und Tinkturen), Bonbons, Kinderspielsachen, Kredit- und Kundenkarten, Bücher, Zeitschriften, Zahnseide, Kondome…

Doch die Produkte der Warenwelt teilen sich den engen Platz mit anderen Souvenirs und Zeugen des Alltagslebens: Schlüssel, Brieftaschen, Bürsten, Kämme, Fotos, Postkarten, Zeitungsausschnitten, Notizbücher, Talismane, Bikinis, Steine (ja, überraschend viele Steine, die als Souvenir aus dem Urlaub mitgebracht wurden und einfach in der Tasche geblieben sind) und noch vieles mehr…

Liest man diese (sehr unvollständige) Liste der Tascheninhalte, stellen sich zwei Fragen: Woher wissen wir das alles und was bedeutet es? Wir müssen zum Glück nicht selbst die intensive Feldforschung in den Untiefen der Handtäschchen unternehmen, denn das hat schon jemand für uns gemacht. Der Soziologie Jean-Claude Kaufmann, ein Experte für die Untersuchung des zwischenmenschlichen Alltags, hat sich dem Thema Handtasche gestellt.

Herausgekommen ist dabei ein unterhaltsames Buch: „Privatsache Handtasche“. Kaufmann ist unser Führer auf der Reise in die Taschenwelt und er erklärt uns auch über Sinn und Zweck der Taschen und ihrer Inhalte: Alle Gegenstände haben eine Bedeutung, sagen etwas über die Trägerin der Handtasche aus, werden bewusst zur Inszenierung des Selbst eingesetzt, dienen der Abgrenzung, steigern das Selbstwertgefühl, demonstrieren die Lebensphasen. Für Marketingleute und Marktforscher lohnt sich der Blick in die Handtaschen – und Kaufmann macht daraus einen kurzweiligen Lesespaß, mit viel Empathie für seinen Untersuchungsgegenstand. Was er liefert, ist eine fröhliche Wissenschaft – lesbar und leicht, erfahrungsgesättigt, aber ohne Fachterminologie, Zahlen und Fakten.

Große intellektuelle Überraschungen wird man nicht finden, aber man bekommt ein Gefühl für eine Facette der modernen Konsumwelt, auf die wir sonst nur selten die Aufmerksamkeit richten. Zugegeben, für weibliche Leserinnen ist diese ethnografische Exkursion vielleicht etwas weniger neu als für männliche Leser, denen der Zugriff auf die Handtaschen ihrer Frauen und Freundinnen im Alltag eher verwehrt ist. Doch alle Leserinnen und Leser werden ihr Vergnügen an der Lektüre von „Privatsache Handtasche“ haben, auch gerade jene, die normalweise um soziologische Fachliteratur einen großen Bogen machen.

Jean-Cluade Kaufmann: Privatsache Handtasche; UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2013, 196 Seiten, 19,99 €, ISBN 978-3-86764-333-7