In die Zukunft gibt es keine Abkürzung

Buchkritik:

„Superforecasting“ von PhilipTetlock & Dan Gardner –

Jeder kennt den gerne zitierten Satz: „Prognosen sind schwierig. Besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Wer immer das gesagt hat (zugeschrieben wird das Zitat den unterschiedlichsten Urhebern), er oder sie hat unrecht. Prognosen sind einfach, wenn sie die Zukunft betreffen – und niemand sie später überprüft. Schwierig wird es, wenn tatsächlich sich jemand mal die Mühe macht nachzusehen, ob eine Prognose tatsächlich eingetroffen ist.

In einem großangelegten wissenschaftlichen Projekt wurde genau das gemacht: Eine Gruppe von Menschen – von international bekannten Trend-Gurus bis zu Studenten und Rentnern – gaben über einen längeren Zeitraum Prognosen über politische und wirtschaftliche Ereignisse ab. Jede davon wurde archiviert und später mit der Wirklichkeit verglichen. Es handelt sich um das sogenannte „Good Judgement Project“, dass in den USA mit staatlicher Förderung durchgeführt wurde. Das Ergebnis: Auch die Experten irrten oft und die meisten Prognosen sind nur so gut wie zufälliges Raten.

Das alleine wäre noch keine wirkliche Geschichte, die ein eigenes Sachbuch rechtfertigen würde. Doch im „Good Judgement Project“ gab es noch vielfältige andere Erkenntnisse: Zum Beispiel gibt es Personen, die überzufällig gute Vorhersagen machten. Sie zeigen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und eine besondere Geisteshaltung – das macht sie zu „Superforecaster“, deren Prognosen sogar im Projektverlauf besser wurden. Philip Tetlock, Sozialpsychologe und Politikwissenschaftler, rief das „Good Judgement Project“ ins Leben und beschreibt in seinem Buch „Superforecasting – The Art and Science of Prediciton“ die Resultate (es liegt jetzt eine deutsche Ausgabe vor, deren Titel pikanterweise nur noch von der „Kunst der Prognose“ spricht und die „Wissenschaft“ unter den Tisch fallen lässt).

Was einen Superforecaster ausmacht, ist nicht seine Ausbildung oder Prominenz (oft liegen die in den Medien gefeierten Gurus sogar systematisch falsch), sondern eine auf Neugier, Reflexion und dem Wissen über die eigenen Grenzen basierende Geisteshaltung. Einige Kenntnisse über die Fallstricke statistischer Zusammenhänge, Wahrscheinlichkeitsrechnung und typische Denkfehler sind hilfreich, genauso wie ein inspirierendes Umfeld. Die Spitzenprognostiker in der von Tetlock untersuchten Gruppe machten ihre Hausaufgaben, informierten sich aus der Tageszeitung und veränderten im Laufe der Zeit ihre Prognosen auf Basis neuer Ereignisse – und schlugen damit die Experten von CIA und NSA, ohne auf deren Zugang zu geheimen Informationen zugreifen zu können.

Es kommt also weder auf IT-Power, Big Data oder riesige Archive an, sondern auf den kontinuierlich kultivierten Gebrauch des gesunden Menschenverstandes. Die Autoren erzählen über das Forschungsprojekt und deren Teilnehmer (einige der Superforecaster lernen wir genauer kennen) – manchmal etwas zu lang und breit. Dem Leser kommt manchmal der Eindruck, dass für das Thema nicht unbedingt ein ganzes Buch nötig gewesen wäre. Den praktischsten Teil findet man im Anhang: Die „zehn Gebote der guten Prognose“, welche die Ergebnisse der Forschung prägnant zusammenfassen – die meisten Gebote verwenden Worte wie „Balance“ und „Abwägen“ und zeigen, dass es keine Abkürzung beim Blick in die Zukunft gibt. Da wir aber alle im Berufsalltag nicht über das Antizipieren (und Gestalten) der Zukunft herumkommen, ist ein Nachdenken über die Kunst und Wissenschaft der Prognose unabdingbar – und das Buch „Superforecasting“ hilft dabei.

Philip E. Tetlock / Dan Gardner: Superforecasting – Die Kunst der richtigen Prognose; Campus Verlag, Frankfurt am Main 2016, 336 Seiten, 23,00 €, ISBN 978-3-100-80024-4