Schalten statt Schweigen

Schalten Sie Anzeigen in der „Titanic“! Buchen Sie Banner im „Postillon“! Die Zeit der Mahnwachen und Schweigeminuten geht vorbei, aber nicht die Bedrohung von kritischen Journalisten und Satirikern, Die Werbe- und Medienbranche hat aber noch andere Möglichkeiten, ein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit abzugeben: Werbung schalten! Und zwar dort, wo es weh tut.

Die vergangenen Tage waren denkwürdig: Erst die Schreckensnachrichten rund um das Terror-Attentat auf die Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“. Dann die dramatischen Berichte von der Jagd auf die Täter. Schließlich bewegende Bilder von den Trauermarsch in Paris und Solidaritätskundgebungen rund um den Erdball. Auch deutsche Journalisten und Medienunternehmen bekundeten ihre Trauer und Solidarität mit den französischen Kollegen: Mit Mahnwachen, Social-Media-Posts, Pressemitteilungen und Schweigeminuten.

Was hat das aber mit Werbung zu tun? Eine ganze Menge. Denn bei dem Anschlag ging es um die Meinungsfreiheit, und die ist nicht nur das Fundament einer freien Presse, sondern auch der Wirtschaftskommunikation. Wir sind träge geworden und sehen Meinungsfreiheit als etwas Selbstverständliches – in Gefahr schien sie immer nur in anderen Ländern zu sein. Denn ihre quasi natürlichen Feinde waren meist die Autoritäten: Staat, Regierung, Parteien, Kirchen. Gegen deren Einflussnahme schützt in Deutschland der Artikel 5 des Grundgesetzes.

Dass die Meinungsfreiheit durch Einzeltäter und Terroristen gefährdet sein könnte, auch in den westlichen Demokratien, ist ein beunruhigender Gedanke. Das Risiko für Satiriker, Journalisten, Kommentatoren oder Karikaturisten ist real und der Einsatz ist deutlich höher, als Einstweilige Verfügungen, Presserat-Rügen, Bußgelder oder das Stornieren von Anzeigen.

Werbung und Satire – ein schwieriges Verhältnis

Das Verhältnis von Werbung und Satire ist ambivalent. Ein Kreativer freut sich, wenn seine Werbung parodiert wird, das zeigt ja nur, dass er einen Nerv getroffen hat. Werbungtreibende Unternehmen sind da öfters eher humorlos. Erst recht, wenn es um kritischen Journalismus geht: Dann werden schon mal Werbeschaltungen zurückgezogen, weil ein kritischer Artikel erschienen ist. Und Satire-Publikationen sind meist erschreckend werbefrei – welche Firma möchte schon eine Institution unterstützen, die sie im Zweifelsfall in die Pfanne haut?

Doch Satire, kritischer Journalismus und Werbung brauchen einander. Werbung finanziert das Mediensystem zum großen Teil, denn sie braucht die Medien, um ihre Zielgruppen zu erreichen. Werbeschaltungen sollten nicht als Belohnung für unternehmensfreundliche oder als Bestrafung für kritische Berichterstattung eingesetzt werden. Damit würde sich die Branche ins eigene Fleisch schneiden: Nachrichtenmagazine, die anstatt Kritik nur PR-Lobhudeleien drucken, würden ihre Leser vergraulen – und dadurch auch als Werbeträger unattraktiv werden.

Solidarität mit denen, die uns beleidigen

Doch Satire und Werbung haben auch Gemeinsamkeiten. Auch Werbung spielt mit Tabus, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie spielt mit Klischees, um leicht verständlich zu sein. Sie zelebriert Werte, um die Menschen im Innersten anzusprechen. Auch hier stößt sie auf Kritik und Ablehnung.

Sicherlich hat Werbung eine andere Funktion als Satire: Letztere lebt davon, die Grenzen auszuloten, den Konsens zu brechen, die Perspektiven radikal zu erweitern. Werbung sucht hingegen nach Akzeptanz und will Grenzen nicht überschreiten. Wo die Grenzen liegen, lernen wir von denen, die sie überschreiten dürfen – den Satirikern. Dies alles funktioniert nur in einer Gesellschaft mit Meinungsfreiheit. Der Angriff auf ein Satire-Magazin ist eine Bedrohung für das gesamte Mediensystem und damit auf uns, deren Arbeitsplätze an diesem System hängen.

Wer die Mörder sind oder mit welcher Ideologie sie ihre Tat rechtfertigen, ist sekundär. Wichtig ist es, den Leuten den Rücken zu stärken, die an vorderster Front die Meinungsfreiheit vertreten – das sind nicht nur die Redakteure und Zeichner von „Charlie Hebdo“, sondern jeder Satiriker, Polemiker, Kommentator – besonders diejenigen, die sich am Rande des Konsens bewegen oder ihn überschreiten.

Jenseits aller Geschmacksgrenzen und politischen Einstellungen sollten wir genau denen unsere Solidarität versichern, die uns ärgern, nerven, beleidigen, kritisieren oder lächerlich machen.

Die Meinungsfreiheit ist da in Gefahr, wo sie uns weh tut.

Schweigen ist Silber, Geld ist Gold

Wie können Werbetreibende, Agenturen und Medienunternehmen Solidarität und Wertschätzung zeigen? Nicht mit Beileidsbekundungen oder öffentlichen Statements – das sind die Mittel der Politiker. Das Mittel der Wirtschaft ist Geld. Schweigeminuten sind gut und schön, doch Schweigen ist Silber, Geld ist Gold.

Ein klares Bekenntnis zur Meinungsfreiheit wären Werbeschaltungen in den Medien, die im Visier der Terroristen sind: natürlich „Charlie Hebdo“ in Frankreich, aber auch die lokalen Satire-Blätter und Websites, die meinungsstarken Magazine und Zeitungen, die Publikationen, die Debatten fördern und gerade den konträren und unangepassten Meinungen ein Forum geben. Deshalb: Schalten Sie Anzeigen in der „Titanic“! Buchen Sie Banner im „Postillon“! Werben sie in den Blättern, die Sie in der Vergangenheit besonders verärgert oder kritisiert haben! Und seine Sie froh, wenn Sie auch in Zukunft genervt werden – nur dann funktioniert unser Mediensystem.

Verzichten sie auf die Absender-Kennung, falls sie Angst haben, jemanden zu verärgern. Warten Sie nicht auf coole Entwürfe Ihrer Agentur, schalten Sie einfach ein schwarzuntermaltes „JE SUIS CHARLIE“ oder eine der Karikaturen, die gerade im Internet verbreitet werden. Zeigen Sie Wertschätzung mit dem, was Ihnen wertvoll ist: Ihre Kohle.

Kolumne, erschienen bei w&v Online am 12. Januar 2015 und bei Springer für Professionals