Auf was Vermarkter achten müssen

Für die Marketing-Fachzeitschrift HORIZONT haben Prof. Dr. Ingo Knuth, Lehrstuhlinhaber für Medienmanagement an der HMKW Hochschule in Berlin, und ich ein Interview gegeben. Chefreporter Jürgen Scharrer sprach mit uns über die Herausforderungen für Werbevermarkter und den Stand der Werbeforschung in Deutschland. Hier können Sie das Interview vollständig lesen.

„Viele Mediaplaner wissen heute weniger als früher“

von Jürgen Scharrer

Worauf müssen Vermarkter bei ihren Agenturbeziehungen wirklich achten? Lohnen sich Investitionen in Marktforschung und Service – oder geht es am Ende dann doch nur um den Preis? Ingo Knuth von der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft sowie Dirk Engel, der sich mit Fachartikeln einen guten Namen in der Branche erworben hat, haben dazu 199 Mediaplaner befragt und widerlegen in ihrer Studie „Erfolgsfaktoren der Werbevermarktung“ manches Vorurteil.

Im Interview sprechen die beiden auch über den Zustand der Werbewirkungsforschung in Deutschland. Dabei kritisiert Engel einen zu starken Fokus auf eindimensionale ROI-Betrachtungen: „Der ROI ist nichts, was irgendwie offensichtlich und objektiv ist. Tatsächlich basieren die unterschiedlichen Modellings und Attributionsmodelle meist auf sehr einfachen Input-Output-Modellen.“ Und weiter: „Wir müssen davon weg, Werbewirkung nur als eine Aneinanderreihung von KPIs zu sehen.“

„Marketing ist keine Ingenieurswissenschaft.“

Das Interview führte Jürgen Scharrer, Chefreporter bei HORIZONT

Herr Knuth, Herr Engel, Sie haben gemeinsam eine Studie durchgeführt und zentrale Erkenntnisse daraus bereits in einem Gastbeitrag für HORIZONT zusammengefasst. War es das oder gibt es noch mehr zu berichten? 

Ingo Knuth: Die Studie geht sehr viel tiefer. Wir haben 199 Mediaplaner gefragt, welche Kern-Einflussfaktoren entscheidend sind für die Zufriedenheit mit einem Werbevermarkter. Auf Grundlage der klassischen Kategorien Preis, Image und Servicequalität haben wir eine Vielzahl von Kriterien berücksichtigt und daraus ein holistisches Modell entwickelt. Im Kern geht es darum, welche Faktoren zu einer hohen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung führen.

Gemeinhin geht man ja davon aus, dass es den Agenturen vor allem um Rabatte geht. 

Knuth: Die zentrale Frage unserer Untersuchung war: Geht es wirklich nur um den Preis? Die Antwort darauf lautet ganz eindeutig nein! Natürlich spielt der Preis eine zentrale Rolle, er ist gewissermaßen der vorgelagerte Faktor, der stimmen muss. Unsere Studie belegt aber klar, wie wichtig es ist, eine nachhaltige Kundenbeziehung aufzubauen. Werbevermarktung ist ein People Business.

Es geht nicht um schöne Hochglanzbroschüren und ausgedehnte Mittagessen beim Edelitaliener, sondern um Fakten, Ideen und konkrete Unterstützung.“

Dirk Engel
Dirk Engel

Worauf kommt es genau an?


Knuth: 
Mediaplaner haben wenig Zeit und stehen unter einem enormen Effizienzdruck. Als Vermarkter sollte ich daher immer überlegen, wie ich den Agenturen helfen kann, ihre Transaktionskosten zu senken. Dazu gehören Serviceangebote wie Marktforschung und Kreation, aber auch Reportings, die transparent, vertrauenswürdig und schnell verfügbar sind. Wenn man nachhaltige Investitionen in Serviceprodukte und ein gutes Produkt einfach wegrationalisiert, gerät man als Vermarkter ins Hintertreffen. Da helfen dann auch keine günstigen Preise mehr.

Lassen Sie uns zwei Punkte mal etwas genauer betrachten, Umfeld und Marktforschung. Eine der zentralen Fragen im Media-Business lautet ja: Wird in der Planung angemessen berücksichtigt, dass Werbewirkung maßgeblich auch vom Umfeld abhängt, in dem die Werbung erscheint?

Dirk Engel: Es gibt eine Vielzahl von Studien und psychologischen Befunden, die den Einfluss des Umfelds auf die Werbewirkung belegen. Das gilt vor allem für den Aufbau von Marken. Eine Marke ist ja nichts anderes als die Assoziation, die der Konsument im Kopf hat. Dieser Zusammenhang ist den Mediaplanern sehr wohl bewusst. Man muss aber einschränkend sagen, dass es viele Kampagnen gibt, bei denen das Umfeld tatsächlich keine große Rolle spielt. Das ist zum Beispiel im E-Commerce der Fall, wenn es darum geht, einen User, der gerade ein bestimmtes Produkt sucht, dazu zu bringen, auf mein Angebot zu klicken.

Es gibt die These, dass Print auch deswegen so schlecht performt, weil junge Mediaplaner zwar genau wissen, was bei TikTok und Instagram gerade passiert, aber jeden Bezug zu klassischen Printmedien verloren haben.

Engel: Mediaplaner und auch Marketing-Entscheider, die anders sozialisiert sind als unsere Generation, kennen einige Medien nur von weitem. Das ist durchaus ein Problem. Das lässt sich aber nicht durch Freieinweisungen und den Hinweis, wie toll man ist, lösen. Qualitätsmedien müssen ihre inhaltliche Kompetenz nutzbar machen. Jeder Mediaplaner steht vor der Aufgabe, sich über die Branchen zu informieren, in denen seine Kunden unterwegs sind. Wirtschaftstitel und Tageszeitungen können da wertvolle Hilfestellungen leisten, etwa mit Dossiers. Entscheidend ist, einen echten Mehrwert zu bieten, indem die Kompetenz eines Titels für den Mediaplaner auch jenseits der Lektüre erfahrbar wird.

„Als Vermarkter sollte ich immer überlegen, wie ich Agenturen helfen kann, ihre Transaktionskosten zu senken.“

Prof. Dr. Ingo Knuth (HMKW)
Ingo Knuth
© HMKW Berlin / Ingo Knuth

Wie wichtig ist es, in Marktforschung zu investieren? Dringt man mit Studien wirklich durch oder landet viel davon ungelesen in der Schublade?

Knuth: Mediaplaner brauchen Informationen über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Medien. Dabei ist es jedoch entscheidend, diese Informationen transparent, nachvollziehbar und gut lesbar aufzubereiten. Ist das der Fall, haben Studien und Reportings zweifellos eine große Bedeutung für die Praxis. Gleichzeitig gilt aber auch: Sind Studien in erster Linie taktisch sowie strategisch geleitet und wirken intransparent, führt das dazu, dass das Vertrauen in Marktforschung insgesamt Schaden nimmt.

Engel: Man muss als Vermarkter sehr respektvoll mit der knappen Zeit seiner Kunden umgehen. Zeitverschwendung wird zunehmend als Zumutung empfunden. Es geht nicht um schöne Hochglanzbroschüren und ausgedehnte Mittagessen beim Edelitaliener, sondern um Fakten, Ideen und konkrete Unterstützung, die der Mediaplaner wirklich braucht. Dazu gehört Forschung, wenn sie so aufbereitet ist, dass sie mir Argumente für ein bestimmtes Medium liefert, mit denen ich gegenüber Vorgesetzten und Kunden bestehen kann. Vieles von dem, was an Broschüren, PDFs und White Papers auf den Markt geworfen wird, ist davon noch weit entfernt.

Sie lesen beide viele Studien von unterschiedlichsten Absendern. Was denken Sie:  Wie ist es um das Niveau in der Werbewirkungsforschung in Deutschland bestellt?

Knuth: Insgesamt sind wir auf einem guten Niveau, gerade auch was Informationen über den deutschen Medien- und Werbemarkt betrifft. Auch in Bezug auf Transparenz stehen wir in Deutschland insgesamt gut da.

Mediaagenturen sind ja nicht nur Adressaten von Studien, sondern forschen und publizieren auch selbst. Wie fällt da Ihr Urteil aus?

EngelViele Mediaagenturen haben umfangreiche und gute Research-Abteilungen und forschen für ihre Kunden. Natürlich wird das meistens nicht veröffentlicht. Was publiziert wird, dient der Eigen-PR, wogegen grundsätzlich nichts zu sagen ist. Interessanter finde ich Projekte, bei denen Mediaagenturen mit Vermarktern zusammenarbeiten. Das gilt noch viel mehr für Kooperationen mit Universitäten und Hochschulen. Davon könnte es gerne noch mehr geben.

Knuth: Das Problem ist nicht, dass wir zu wenige Studien auf einem guten Niveau hätten, sondern es vielen Marktpartnern schwerfällt, bei der Vielzahl an Informationen den Überblick zu behalten. Einer meiner zentralen Punkte lautet daher, dass für mehr Transparenz im Markt gesorgt werden muss.

Der Blick in die Blackbox ist essenziell. Und dafür braucht es Erkenntnisse aus der Psychologie, der Soziologie und qualitative Forschungsansätze.“

Dirk Engel

Welche Rolle spielt die Wissenschaft? Kommen von da genügend interessante Ansätze oder ist das, was an Hochschulen und Universitäten passiert, allzu oft für die Praxis nicht relevant?

KnuthBeides hat seine Berechtigung, reine Grundlagenforschung ebenso wie angewandte Forschung. Was ich aber durchaus bemängele, ist das Fehlen einer wirklich lösungsorientierten Forschung, die in beide Richtungen abstrahlt. Wir brauchen mehr Kooperationen und Publikationen, die für die Lösung praktischer Probleme relevant sind und gleichzeitig wissenschaftlichen Standards genügen.

Engel: Ich sehe die Verantwortung nicht nur als Bringschuld der Wissenschaft, sondern möchte Agenturen und Werbetreibenden in die Pflicht nehmen. Wichtig sind nicht nur gute Daten und Studien, sondern auch ein kompetenter und kritischer Umgang damit.

Es ist ja kein Geheimnis, dass die Mediaagenturen immer junioriger und Marketingabteilungen ausgedünnt werden. Fehlt es da nicht allzu häufig an der nötigen Expertise für einen echten Austausch?

Engel: Früher gab es nur wenige Studien, die dafür aber jeder Mediaplaner kannte. Um es überspitzt zu sagen: Viele Mediaplaner wissen heute weniger als ihre Kollegen vor 20 Jahren, weil sie die Vielzahl der vorhandenen Informationen nicht richtig einordnen können. Ohne ein entsprechendes Know-how können sie Studien von Vermarktern nicht kompetent und kritisch beurteilen. Und mit Kritik meine ich nicht den häufig gehörten Vorwurf, Vermarkter würden ihre eigene Mediengattung einseitig promoten. Dieser Einwand zeugt nicht von einem kritischen Umgang, sondern einem oberflächlichen und vorurteilsbeladenen. Entscheidender ist es, genau zu schauen, wie Daten erhoben werden und wie valide die Methodik hinter den einzelnen Studien ist. Schlussfolgerungen müssen die Medialeute selbst ziehen und nicht den Studienherausgebern alleine überlassen.

Klingt nach einem echten Problem.

Engel: Ich sehe darin eher eine Chance für die Vermarkter, indem sie die Mediaplaner schulen und Seminare anbieten, in denen es nicht nur um einzelne Werbeträger geht, sondern um das große Bild. Und da spielen dann eben auch Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung eine wichtige Rolle.

Lassen Sie uns noch einmal auf die Frage zurückkommen, ob die Beschäftigung mit der Wissenschaft wirklich einen Mehrwert für die praktische Arbeit liefert.

Engel: Zweifellos. Vor allem dann, wenn man den Blick etwas öffnet, statt immer nur auf Werbewirkungsforschung zu schauen. Länder wie die USA sind da deutlich weiter. Werbeforschung hat in den USA einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland, das sehen Sie alleine schon an den einflussreichen wissenschaftlichen Journals und der Anzahl der Lehrstühle. Vor allem aber ist das Themenspektrum größer. Es gibt zum Beispiel hochinteressante neue Erkenntnisse darüber, wie Manager Entscheidungen treffen. Ein anderes Beispiel ist das weite Feld der Gesundheitskommunikation. Deren Erkenntnisse könnten das Marketing weiterbringen als die hundertste Case-Study mit ROI-Betrachtung.

Ist der ROI nicht am Ende der alles entscheidende Faktor?

Engel: Der ROI ist nur auf den ersten Blick simpler Indikator, in Wahrheit aber schwer zu verstehen. Er ist immer davon abhängig, welche Kennzahlen und Kosten ich in die Berechnung einbeziehe und welche Methode ich anwende. Der ROI ist also nichts, was irgendwie offensichtlich und objektiv ist. Tatsächlich basieren die unterschiedlichen Modellings und Attributionsmodelle meist auf sehr einfachen Input-Output-Modellen. Wir müssen aber herausfinden, was in der Blackbox geschieht. Meine These ist, dass qualitative Marktforschung und psychologische Modelle sogar wieder an Bedeutung gewinnen werden.

Knuth: Im klassischen Kampagnen-Reporting geht es um einfache ROI-Betrachtungen. Aufgrund der Vielzahl an Daten haben wir in diesem Bereich sehr viel mehr Möglichkeiten als früher. Dennoch würde ich das nicht als den Kern der der Markt- und Mediaforschung betrachten. Ich sehe auch nicht, dass die klassische Marktforschung an Bedeutung verliert. Methoden wie Befragungen, Experimentalstudien oder Gruppendiskussionen wird es weiter im großen Stil geben, davon bin ich überzeugt. Umso komplexer die Medienlandschaft, desto größer das Verlangen, Dinge nicht nur zu messen, sondern auch zu verstehen.

Selbst aus der Epidemiologie können wir was lernen: Wie ist eigentlich der R-Wert für eine Werbebotschaft?

Dirk Engel

Georg Berzbach von Dentsu hat eine andere Sicht auf die Dinge: Entscheidend sei, zu wissen, ob etwas funktioniert, und nicht, wie und warum es funktioniert.

Engel: Ich halte das für falsch. Es kommt gar nicht so selten vor, dass Kampagnen, die am Anfang sehr erfolgreich sind, auf einmal nicht mehr funktionieren, weil die Strategen und Kreativen ihren eigenen Erfolg nicht verstanden haben. Es ist daher sehr wohl wichtig, zu wissen, warum etwas funktioniert und was die Bedingungen für Werbewirkung sind. Man muss auch aufpassen, sich nicht nur auf Zahlen zu konzentrieren. Es gibt da dieses großartige Buch von Nate Silver, „The Signal and the Noise“. Die eigentliche Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, das Signal im Rauschen zu erkennen. Wenn ich in Modellings bis zu 200 Variable berücksichtige, modelliere ich im Grunde nur das Rauschen. Der Blick in die Blackbox ist essenziell. Und dafür braucht es Erkenntnisse aus der Psychologie, der Soziologie, qualitative Forschungsansätze. Selbst aus der Epidemiologie, die wegen Corona gerade in aller Munde ist, können wir was lernen: Wie ist eigentlich der R-Wert für eine Werbebotschaft? Wir müssen davon weg, Werbewirkung nur als eine Aneinanderreihung von KPIs zu sehen.

Wie muss sich die Kommunikationsforschung in den nächsten Jahren aufstellen?

Knuth: Die Medienwelt wird immer komplexer, das hat natürlich Folgen für die Forschung. Es ist heute sehr viel leichter, als Unternehmen eigene Marktforschung zu betreiben, weil es eine Vielzahl von Datenquellen und Tools gibt. Die Gefahr ist, dass fundierte und anspruchsvolle Marktforschung dadurch ihre Orientierungsfunktion teilweise einbüßt. Genau das darf nicht passieren. Deshalb ist es so wichtig, dass gerade die Vermarkter konsequent vertrauenswürdige Ergebnisse liefern. Transparenz, Glaubwürdigkeit und eine verständliche Darstellung von Studienergebnissen sind das Gebot der Stunde. 

Engel: Man darf Marketing nicht rein als Technologie verstehen, als Ad Tech. Marketing ist keine Ingenieurswissenschaft, sondern angewandte Psychologie. Ich bin zuversichtlich, dass das auch wieder deutlicher so gesehen wird. Desweiteren würde ich mir wünschen, dass neben Werbewirkungsforschung auch andere Themen mehr Platz bekommen.

„Transparenz, Glaubwürdigkeit und eine verständliche Darstellung von Studienergebnissen sind das Gebot der Stunde.“

Prof. Dr. Ingo Knuth (HMKW)

Zum Schluss hätten wir noch gerne einen Lektüretipp von Ihnen. Welches Buch, welcher Aufsatz oder welcher Autor hat Sie zuletzt besonders beeindruckt?

Knuth: „Should social science be more solution-oriented?“ von Duncan Watts, erschienen im Jahr 2017 in der Zeitschrift Nature. Duncan Watts beobachtet, dass nutzungsinspirierte Grundlagenforschung – oder, wie Watts es nennt, lösungsorientierte Forschung – in den Sozialwissenschaften noch relativ selten sei, da reale Probleme typischerweise unübersichtlich und komplex seien. Das mache es schwierig, Probleme zu definieren, den Fortschritt zu bewerten und eine Lösung zu finden. Nichtsdestotrotz, so argumentiert Watts, könne lösungsorientierte Forschung immense Vorteile für Wissenschaft und Praxis haben. Dies gilt meiner Meinung nach besonders für Medien- und Marketingforschung.

Engel: Ich empfehle das Buch „Service-Dominat Logic“ von Lusch und Vargo. Darin wird erläutert, dass in B2B keine bloßen Produkte verkauft werden, sondern die Wertschöpfung gemeinsam von Anbieter und Kunde kreiert wird. Genau das wollen wir mit unserer Studie, von der wir anfangs geredet haben, zeigen: Vermarkter verkaufen keine Werbung, sondern schaffen mit ihren Kunden gemeinsam einen Mehrwert.

Das Interview wurde am 25. Juni 2021 auf HORIZONT+ (nur online für Abonnenten) veröffentlicht.

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