Die große Herausforderung für die Marktforschung besteht darin, ihre Zahlen und Fakten so zu kommunizieren, dass sie verstanden und für Entscheidungen herangezogen werden. Für die Fachzeitschrift „planung & analyse“ habe ich einen Beitrag geschrieben, der zwei innovative Bereiche der Datenvermittlung vorstellt: Informationsdesign und Datenjournalismus.
Den Beitrag finden Sie bei „planung & analyse“ oder Sie können ihn gleich hier lesen:
Abstrakte Zahlen zum Leben erwecken
Daten verständlich und erfahrbar machen – darum kümmern sich Informationsdesign und Datenjournalismus. Beide Disziplinen gewinnen in den Medien immer mehr an Bedeutung. Es gibt viele Berührungspunkte mit der Marktforschung – nicht zuletzt können Forscher eine Menge lernen.
Unternehmen müssen heute eine Flut von Daten bewältigen, nicht nur aus der Marktforschung. Die Herausforderung sehen viele nicht nur darin, relevante Erkenntnisse zu gewinnen, sondern diese auch an alle Entscheider in verständlicher Form zu vermitteln. Die Aufgabe der betrieblichen Marktforscher und Insights-Abteilungen ist nicht mehr alleine die Datenerhebung, sondern die Kommunikation der Ergebnisse. Das wurde neulich bei einer Diskussionsrunde auf dem Data Analytics & Insights Salon DAIS von planung & analyse deutlich. Dort berichtete Christine Möller, Head of Customer Insights bei eBay, dass ihr Management eher ansprechende Storys als schnelle Datenströme verlange. Das habe Auswirkungen bei der Rekrutierung des Personals. Statt BWLer, Sozialwissenschaftler und Data Scientists würden immer mehr Journalisten eingestellt. „Es ist leichter, diesen Leuten Forschung beizubringen als Forschern das Storytelling“, meinte Michelle Gansle, Senior Director Insights bei Mars Wrigley in derselben Diskussionsrunde.
Marktforschung und Journalismus – darüber wurde in letzten Jahren viel diskutiert. Doch ging es vorwiegend darum, wie Journalisten mit Umfrageergebnissen umgehen. Der Bedarf nach Geschichten und Kommunikation rund um Insights lenkt den Blick auf ein anderes Feld: Was können Marktforscher von Journalisten lernen? Eine ganze Menge, denn der Siegeszug der Daten hat schon lange die Welt des Journalismus erreicht. Hier gibt es zwei Bereiche, die sich quasi an der Schnittstelle von Forschung und redaktioneller Tätigkeit befinden, weil sie Datenanalyse und spannende Geschichten verbinden: Informationsdesign und Datenjournalismus.
Machen wir einen kurzen Streifzug, um beide Felder etwas näher kennenzulernen.
Komplexität besser erfahrbar machen
Die steigende Popularität von Informationsdesign ist ein allgemeiner Trend. Getrieben wird er von dem Wunsch, die steigende Menge von Daten für alle Gesellschaftsbereiche nutzbar zu machen. Das erfordere Kommunikation, meint Nina Corradini. Sie arbeitet bei dem italienischen Unternehmen The Visual Agency, was sich auf die kreative Aufbereitung von Daten spezialisiert hat. Die Kunden kommen aus unterschiedlichsten Bereichen – Behörden, NGOs, große Konzerne, Medien. Was die Agentur liefert, sind nicht einfach nur Grafiken oder Visualisierungen, man sieht die Aufgabe in der „Kommunikation von Komplexität“.
Datenanalyse soll nicht nur in den Händen der Statistiker und Experten bleiben, sondern jeder soll die Möglichkeit bekommen, selbstständig und spielerisch Datensätze zu erschließen. „Wir helfen unseren Kunden, aus Daten ein Narrativ zu extrahieren und zu visualisieren. Damit werden komplexe Sachverhalte verständlich und kommunizierbar“, so fasst Corradini die Mission ihrer Firma zusammen. Dabei bietet man nicht nur statische Lösungen in Form von ästhetischen Grafiken und Schaubildern, sondern auch Tools und interaktive Anwendungen. Ein Beispiel dafür: In einer Umfrage wurden die Mailänder gefragt, was mit dem Expo-Gelände in ihrer Stadt passieren soll. Die Experten von The Visual Agency bastelten dazu ein interaktives Online-Dashboard, mit dem jeder die Umfrageergebnisse eigenständig nutzen konnte, um ein besseres Verständnis für die verschiedenen Szenarien zu bekommen.
Um solche Projekte zu realisieren, ist eine Vielzahl von Fähigkeiten notwendig: Statistische Analyse, Wissen über Erhebungsmethoden, Software-Programmierung, Usability-Optimierung, Design, außerdem die richtigen Fragen an einen Datensatz zu stellen und pointierte Erkenntnisse zu formulieren. Meist sind diese Talente auf unterschiedliche Professionen verteilt, doch gibt es eine Disziplin, die alles vereint: Informationsdesign. Corradini berichtet, dass es vor zehn Jahren noch schwer war, Informationsdesigner zu finden, mittlerweile gebe es zahlreiche Studiengänge, auch in Deutschland. Sie verbinden Design, Software, Statistik, Forschung und Storytelling miteinander.
Der Guru des Informationsdesigns
Natürlich ist das nicht völlig neu – Beispiele für Datenvisualisierungen, die nicht nur illustrieren, sondern neue Erkenntnisse schaffen, gibt es einige. Der Papst des Informationsdesigns ist Edward R. Tufte. Sein Buch „The Visual Display of Quantitative Information“ ist seit Jahrzehnten die Bibel für jeden, der sich mit der grafischen Aufbereitung von Daten beschäftigt – und wurde leider bis heute nicht ins Deutsche übersetzt. Tufte präsentiert darin historische Beispiele, darunter viele Landkarten, die nicht nur schön aussehen, sondern das Verständnis der abgebildeten Sachverhalte erhöhen. Diese Arbeiten waren meist nur eine Randerscheinung des Grafikdesigns und der Illustration, heute gibt es immer mehr Anwendungsfälle und der Einsatz von Techniken und Medien hat sich ebenfalls erweitert. Schon lange sind Dashboards Teil des Berufsalltags. Was macht aber den Unterschied aus zwischen Standard-Tools wie Tableau oder Power BI und den individuellen Projekten, die von Spezialisten wie The Visual Agency verwirklicht werden? Nina Corradini glaubt, dass Experten-Dashboards für Unternehmen einen guten Zweck erfüllen, doch die Kraft der Daten würde erst vollständig entfaltet, wenn jedermann ohne Vorkenntnisse Datensätze selbst erfahren kann. Genau solche Projekte entwickelt ihre Agentur. Allerdings haben solche individuellen Lösungen von hoher ästhetischer Qualität auch ihren Preis.
Storytelling als Dienstleistung
Doch es geht günstiger. Hier kann etwa Statista helfen. Das deutsche Informations-Portal liefert nicht nur eine Datenbank für Unmengen von Statistiken, sondern hat zusätzlich einen Geschäftsbereich für Dienstleistungen rund um die Datenvisualisierung. Dabei liegt ein Fokus beim Content Marketing. Wenn Unternehmen in den Medien oder auf ihren eigenen Online-Kanälen interessante Informationen bereitstellen wollen, um potenzielle Kunden anzusprechen, sind Studien und Daten oft eine gute Basis. Doch müssen sie so aufbereitet werden, dass sie ansprechend, unterhaltsam, informativ und verständlich sind.
Jan-Frederik Ahrens und sein Team von Statista Content & Information Design kümmert sich mit 50 Mitarbeitern darum, Daten in spannende Geschichten umzuwandeln. Beispiele davon kann man jeden Tag in dem kostenfreien Newsletter Statista Infografik Ticker finden. „Wir haben in den zwölf Jahren unseres Bestehens 15.000 Infografiken erstellt“, berichtet Ahrens. Sein Team entwickelt individuelle Lösungen, inklusive interaktiver Dashboards, doch besonders erfolgreich sind die kosteneffizienten Produkte. So können Kunden sogenannte Single Charts (einzelne Grafiken, wie man sie aus dem Newsticker kennt) oder Story Charts anfertigen lassen. Letztere sind Zusammenfassungen von zirka fünf Insights in einem individuellen Layout.
Dieses Format wird meist schlicht als Infographic bezeichnet und findet sich häufig in Social-Media-Beiträgen von Unternehmen: Interessante Studienergebnisse oder Daten werden mit passenden Illustrationen, attraktiven Headlines und kurzen Erläuterungen auf einem Bild dargestellt. Vor einigen Jahren war dieses Format allgegenwärtig, mittlerweile, so die Beobachtung von Ahrens, habe sich die Darstellungsweise leicht verändert: Weg von dem großen, länglichen Poster hin zu Sequenzen, die nacheinander oder in einer einfachen Animation präsentiert werden können. Ein solches Story Chart liefert Statista bereits für unter 3.000 Euro, wer mehr investieren möchte, bekommt noch Service rund um die Distribution dazu, etwa die Aufbereitung für Social-Media-Posts, das Erstellen von Landing Pages und andere Unterstützung beim Content-Marketing. Grundsätzlich liefert man nicht nur grafische Ideen, sondern mehr: Recherche von relevanten Informationen und das Finden der richtigen Story. Deshalb arbeiten die Statista-Mitarbeiter wie Journalisten oder, um genauer zu sein, wie Datenjournalisten.
Ein neues Berufsfeld: Datenjournalist
Viele der Arbeiten von The Visual Agency oder Statista werden für Medien produziert, um deren Berichterstattung interessanter zu machen. Datenjournalismus geht weit darüber hinaus, einfach nur schöne Grafiken und Schaubilder zu gestalten. Auch hier ist das Ziel, neue Perspektiven zu öffnen. Man zitiert nicht nur Zahlen, sondern analysiert sie, ordnet sie, fasst sie zusammen, visualisiert sie und im Idealfall ermöglicht man den Nutzern, selbst mit den Daten herumzuspielen. Bei renommierten Medien wie The Washington Post oder The Guardian lassen sich viele Beispiele für modernen Datenjournalismus finden. Ein neues Berufsfeld ist im Begriff zu entstehen – Journalisten, die nicht nur das Handwerk des Schreibens und der Recherche beherrschen, sondern gleichzeitig kritisch und kreativ mit Daten umgehen.
Die Erfolgsgeschichte der Zeitschrift Katapult
Man muss nicht unbedingt ins Ausland gehen, um guten Datenjournalismus zu finden. Katapult, 2015 gegründet, ist eine Erfolgsgeschichte in der deutschen Printlandschaft: In wenigen Jahren schaffte das vierteljährlich erscheinende Magazin eine verkaufte Auflage von über 50.000 Exemplaren. Das Konzept ist anspruchsvoll: Die Redaktion berichtet über Studien und Erkenntnisse aus unterschiedlichen Sozialwissenschaften. Die Darstellung ist eine ganz andere als in wissenschaftlichen Journalen – man arbeitet mit selbst erstellten Karten und Grafiken. Gerade die Karten machen das Magazin attraktiv, so dass bereits mehrere Bücher mit ihnen veröffentlicht wurden.
Wie arbeitet man bei Katapult? Hier gibt Redakteurin Daniela Krenn Auskunft. Man sei immer auf der Suche nach relevanten Themen, um sie verständlich aufzuarbeiten. Manche Wissenschaftler meldeten sich mittlerweile bei der Redaktion, viel öfter recherchiere man selbst in wissenschaftlichen Publikationen oder Datenbanken. Wichtig sei es immer, einen Vergleich zu finden: Wie sieht es in verschiedenen Ländern aus? Wie war die Entwicklung über die Jahre? Wie lassen sich Quantitäten anschaulich machen? „Wir sind hungrig nach der passenden Zahl“, beschreibt Krenn ihre Arbeit. Das Prüfen der Zahlen sei dabei extrem wichtig. Es werde immer nach mindestens einer weiteren Quelle gesucht. Nichts werde ungeprüft veröffentlicht, selbst prestigeträchtigen Absendern wird auf den Zahn gefühlt. Leidenschaft und Interesse für diese Art von Arbeit scheint dabei wichtig zu sein. Die Redakteure haben alle sehr unterschiedliche Karrieren und Hintergründe, doch teilen sie den Spaß an der Recherche.
Die Daten sprechen lassen
Ausbildungsmöglichkeiten zum Datenjournalisten gibt es bisher kaum, bestenfalls werden Kurse und Weiterbildungsseminare angeboten (zum Beispiel von der Leipzig Media School). Noch ist das Berufsbild unklar, doch Forschungs-Kompetenz und journalistisches Handwerk sind beides essenziell. Allerdings bleibt vieles, was im weitesten Sinne als Datenjournalismus bezeichnet wird, hinter den Möglichkeiten zurück. Über Studien und Umfragen zu berichten, gehört zu dem normalen Job jedes Journalisten. Erst wenn die Daten kritisch hinterfragt werden, neue Quellen gefunden, Datensätze re-analysiert werden und die grafische Aufbereitung nicht nur illustrativ ist, sondern neue Blickwinkel eröffnet, sollte man von echtem Datenjournalismus sprechen. Doch kann man sogar einen Schritt weiter gehen, wie es Dr. Jakob Vicari demonstriert.
Vicari ist das, was man gerne als „Nerd“ bezeichnet – er hat Spaß am Basteln, Programmieren und an kreativen Ideen. Seine Projekte, die er für Zeitungen oder Rundfunksender durchführt, erheben neue Daten auf innovative Weise. Er nennt es „Journalismus der Dinge“ und hat unter diesem Titel bereits ein Buch veröffentlicht. Sein Vorgehen lässt sich vielleicht am besten an einem Beispiel verdeutlichen: Bei dem Projekt „Superkühe“ für den WDR haben Vicari und seine Kollegen drei Milchkühe in unterschiedlichen Umfeldern (landwirtschaftlicher Großbetrieb, Familienbetrieb, Bio-Hof) mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, inklusive einer Sonde im Pansen (die natürlich die Kühe nicht beeinträchtigte oder schädigte).
„Die Stimme der Kuh sitzt im Pansen“, erläutert Vicari. So wurden rund um die Uhr Biowerte gesammelt, die viel über das Wohlbefinden der Kühe aussagten. Diese Daten konnten Besucher einer Website 30 Tage live einsehen – aber nicht nur als Kurven oder Tabellen, sondern umgewandelt in Texte aus der Erzählperspektive der Kühe. Die „führten“ ein persönliches Tagebuch, in einem Chat konnte man ihnen sogar Fragen stellen. Dabei wurden die Sensordaten teils automatisiert in Texte umgeformt, Chatbots halfen beim Dialog. Die Nutzer waren begeistert und viele pflegten die tägliche Konversation mit ihrer Lieblingskuh. So wurden Kühe – über Daten – zum Sprechen gebracht. Das Projekt gewann einen Journalistenpreis, doch bisher gibt es wenig Nachahmer. Das liegt am hohen Aufwand und daran, dass vielen Redaktionen das Verständnis und die Fantasie für solche außergewöhnlichen Datenprojekte fehlen. Denn selbst Datenjournalisten kennen sich nicht unbedingt mit Technik und Programmierung aus. Der Mainstream des Datenjournalismus konzentriert sich auf die Visualisierung. Vicari sieht das kritisch. Oft seien es nur wenige, die versiert mit komplexen Schaubildern und interaktiven Grafiken umgehen könnten. Er plädiert für mehr Texte in der Datenvisualisierung – diese könnten zumindest zum Teil automatisch erzeugt werden, wie bei seinem Kuh-Projekt. Der Besucher der Website konnte den Kühen mit seinen eigenen Worten Fragen stellen, die die Kühe – vermittelt über Daten und Text-Bots – beantworteten.
Marktforscher müssen bei Visualisierung lernen
Unser Streifzug hat gezeigt: Informationsdesign und Datenjournalismus transformieren Information in Geschichten, Bilder und Erlebnisse. Die Berührungspunkte mit der Marktforschung sind eindeutig. Allerdings sehen sich viele Marktforschungs-Institute immer noch in erster Linie als Datenlieferanten und Erhebungs-Experten. Deshalb werden ihre Resultate mitunter von anderen Dienstleistern aufbereitet – Statista oder The Visual Agency betreuen viele Unternehmen, die mit der gängigen Aufbereitung ihrer Marktforschungspartner unzufrieden sind. Hier müssen die Institute sicherlich aufholen, um ihren Kunden die Qualität in der Datenpräsentation zu liefern, die über Balken-, Säulen- und Torten-Diagramme hinausgeht. Seminare zum Storytelling und Dashboard-Tools sind Schritte in die richtige Richtung, doch die Welt von Datenjournalismus und Informationsdesign hält noch viele weitere Impulse bereit.
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