Der beste Mediaplan hilft nichts, wenn die Kreation nicht kommuniziert

Der beste Mediaplan hilft nichts, wenn die Kreation nicht kommuniziert“ sagt Dr. Horst Stipp (The ARF) im Interview. Dabei spricht die TV-Forschungs-Legende mit mir über die Studie „How Advertising Works, Today“ und was die deutsche Werbebranche von der amerikanischen Advertising Research Foundation lernen kann.

Übrigens: Einen Bericht über die Studie können Sie hier lesen.

Herr Dr. Stipp, was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an der Studie „How Advertising Works“?

Stipp: Das Projekt bündelt eine Vielzahl von Analysen und Erhebungen, um ein umfassendes Bild zu liefern. Dabei geht es nicht nur darum, die monetären Aspekte (den ROI) zu zeigen, sondern auch zu erklären, WARUM bestimmte Kampagnen wirken oder nicht wirken. Deshalb gehören die Analysen zum „cross-platform ROI“ und das neurowissenschaftliche Projekt zusammen. Im Neuro-Projekt haben wir viele Mechanismen der Werbewirkung aufdecken können, z.B. die Interaktionen zwischen den verschiedenen Medien und die Wichtigkeit der kreativen Exekution. Denn der beste Mediaplan hilft nichts, wenn die Kreation nicht kommuniziert.  Der Einfluss des Werbeumfelds wird auch noch analysiert.

Wie viele Werbungtreibende haben zu dem Projekt beigetragen und wie war die Zusammenarbeit?

Stipp: Wir hatten 31 Sponsoren, die in verschiedener Weise zum Gelingen des Projektes beitragen konnten. Einige haben mit vorhandenen Daten neue Analysen durchgeführt, aber nach klaren Vorgaben der ARF, sodass wir neue Aspekte herausfinden konnten. Andere haben Daten zur Verfügung gestellt oder das Projekt finanziell unterstützt. Zu den Sponsoren gehören große Marken, Marktforschungs-Institute und auch Medien, letztere sehen sich aber als Marken und nicht als Verkäufer von Werbezeiten oder Anzeigenplatz. Die Studie ist also keine Sales-Show der Werbevermarkter. Bevor es losging, sind wir zu jedem Werbungtreibenden gegangen und haben zwei Sachen gefragt: Welche Studien und Erkenntnisse habt ihr in euren Schubladen? Und welche Frage beschäftigen Euch wirklich? Wir haben somit verhindert, nur Bekanntes zu duplizieren. Stattdessen sind wir die wirklich relevanten Probleme angegangen. Die Zusammenarbeit der vielen Beteiligten war sehr kollegial, hat aber trotzdem für unsere Verhältnisse recht lange gedauert, ca. elf Monate.

Elf Monate ist für deutsche Verhältnisse Raketen-Geschwindigkeit. Aber zurück zu den Ergebnissen: Die Studie zeigt klar den Vorteil eines Media-Mixes. Rennt man damit nicht offene Türen ein? Ist das breite Plattform-Portfolio nicht schon längst die Regel?

Stipp: Nicht unbedingt, in den USA gibt es noch große Marken, die stark auf TV-Werbung vertrauen. Und digitale Werbung wird oft als Ersatz und nicht als Ergänzung zu klassischen Medien eingesetzt. Wir haben gezeigt, dass dies falsch ist. Gelder von einem zum anderen Medium umzuverteilen, senkt die Effektivität. Dadurch verlieren die klassischen Medien an Kraft und online gibt es oft nur ein planloses Herumprobieren. Wenn man die zusätzlichen Stärken der Mediagattungen erschließen will, braucht man eine klare Strategie und muss breit investieren. Dann gibt es einen deutlichen Multiplying-Effekt, denn wir auch im neurowissenschaftlichen Teil unseres Projektes nachweisen konnten.

Die Daten stammten aus vielen Ländern. Sind die Ergebnisse übertragbar auf andere Märkte – z.B. Deutschland?

Stipp: Internationale Daten, vor allem aus UK, flossen in das Projekt ein, doch natürlich kommen die meisten Daten aus den Vereinigten Staaten. In Europa ist das Mediensystem doch recht anders. Vergleichen Sie nur einmal die Olympia-Berichterstattung in Deutschland und in den USA: Während der amerikanische Zuschauer mit (meist sehr kreativen) TV-Spots bombardiert wird, sieht der deutsche in den öffentlich-rechtlichen Olympia-Übertragungen fast keine Werbebotschaften. Deshalb wäre es sicherlich sinnvoll, die Analysen und Erhebungen für Deutschland durchzuführen, um zu sehen, ob es gleiche Muster gibt und wo die Unterschiede liegen.

Die veröffentlichten Ergebnisse sind sehr spannend, aber doch etwas allgemein und oberflächlich. Wer bekommt die Ergebnisse zu sehen? Sind weitere Veröffentlichungen geplant?

Stipp: Wir haben auf unseren Konferenzen die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert. Parallel gab es für alle Sponsoren individuelle Präsentationen. Auch dürfen die Sponsoren und ARF-Mitglieder Daten selbst analysieren. Das ist der Vorteil, den sie durch ihre finanzielle Beteiligung bzw. die ARF-Mitgliedschaft bekommen. Detailanalysen sind ihnen vorbehalten. Doch wir haben auch ausführliche Artikel in unserem Journal of Advertising Research veröffentlicht, in dem jeder Interessierte noch etwas Neues erfahren dürfte.

Sie kennen sich auch in der deutschen Media-Branche aus. Glauben Sie, dass eine ähnliche Studie auch für Deutschland möglich und wünschenswert wäre? Wäre auch die ARF ein Modell für Deutschland?

Stipp: Die Grundlagenarbeit der ARF wird von allen Mitgliedern sehr hoch geschätzt. Wir sind so etwas wie die neutrale Schweiz. Bei uns arbeiten die Forscher der Firmen, die ansonsten erbitterte Wettbewerber im Markt sind, konstruktiv und offen zusammen. Wir sehen uns als eine Einrichtung, die Methoden evaluiert, Begriffe definiert, also den Dialog der Forscher kuratiert. Damit heben wir das Niveau der Forschung. Das kommt allen Unternehmen im Markt zugute. Außerdem bündeln Ressourcen – eine aufwendige Studie wie „How Advertising works“ – insbesondere den Neuroscience-Teil – könnte ein einzelnes Unternehmen kaum stemmen. Die ARF hat dabei die Interessen der Marken im Blick und nicht die der Media-Verkäufer. Falls Interesse besteht: Wenn man mich einlädt, stelle ich gerne das ARF-Modell auch den deutschen Unternehmen und Verbänden vor.

Dr. Horst Stipp ist auch dem deutschen Fachpublikum als Vortragsredner und Experte für die amerikanische Zuschauerforschung durch viele Veranstaltungen gut bekannt, u.a. dem TV-Wirkungstag. Seit 2011 ist er Executive Vice President bei der Advertising Research Foundation. Der New Yorker, der aus Bremen stammt, war zuvor Senior Vice President bei NBCUniversal und verfügt über eine mehr als vierzigjährige Erfahrung in der amerikanischen und internationalen Mediaforschung. Als promovierter Soziologe und Lehrbeauftragter an der Columbia University versteht er es wie kaum ein anderer, die Veränderungen der Mediennutzung aufzudecken und verständlich zu machen. Im Rahmen des Projektes „How Advertising Works, Today“ ist er hauptsächlich für den neurowissenschaftlichen Teil verantwortlich, gab hier aber auch bereitwillig Auskunft über die gesamte Studie.