Der vernetzte Mensch bleibt blass

Buchkritik:

„Homo Connectus“ von Frank Keuper u.a. –

Die Wirtschaftswissenschaft hatte einst einen Lieblingsmenschen: Den Homo Oeconomicus. Er war das Modell schlechthin: Ein rationaler, perfekt informierter Nutzenmaximierer. Die Psychologie hat aber dafür gesorgt, ihn in Misskredit zu bringen. Heute versuchen sich ganze Heerscharen von BWLern, mit Totengesängen auf den Homo Oeconomicus zu profilieren – vergeblich, denn sein Tod ist schon lange Konsens in der Konsumentenforschung. Doch was kommt nach ihm? Einen neuen Menschentyp propagiert ein gerade erschienener Sammelband: Den Homo Connectus.

Wer wissen will, was sich genau dahinter verbirgt, steht eine zeitaufwändige Lektüre bevor. Eine einheitliche Definition findet sich nicht so leicht, allerdings ahnt man, um was es geht. Dieser Mensch ist digital vernetzt – mit Unternehmen, mit Plattformen, mit anderen Konsumenten im Social Web, mit dem Internet der Dinge. Das Leben in einer digitalisierten Konsum- und Dienstleistungs-Umwelt scheint den Menschen ausreichend zu verändern, um von einer erneuerten Spezies zu sprechen. Was lernen wir nun über den neuen Menschen?

Die Herausgeber haben eine Vielzahl von Beiträgen zusammengetragen, die sich alle in der einen oder anderen Weise mit Kunden im digitalen Zeitalter befassen. Diese „Digital Customers“ (eine im Buch ebenfalls verwendete, etwas prosaische, aber treffende Gattungsbezeichnung) gibt es im Business-to-Business-Feld genauso wie bei den Endkonsumenten. Ihre Kaufentscheidungen werden durch individualisierte Angebote, Multi-Channel-Ansprache, umfassende CRM-Datenbanken, Marketing-Automatisierung und soziale Medien geprägt.

Die Beiträge zeigen das an mehr oder minder konkreten Fällen – einige davon sind im Stil akademischer Journal-Artikel geschrieben, andere erinnern eher an den Jargon von Unternehmensberatern. Die Spannbreite ist immens: Von Datenschutz, über Mediennutzung, Psychogramme der jüngsten Generationen (X, Y, Z etc.), Innovationsmanagement, Big Data, Social Selling, bis zur Emotionsmessung durch Gesichtserkennung. Darunter finden einige wirklich interessante Themen: Zum Beispiel das ansonsten eher selten diskutierte „selektive Demarketing“ – ja, manchmal ist es auch die Aufgabe des Marketings, Kunden los zu werden! Was leider fehlt, ist ein roter Faden, eine Zusammenfassung, eine Einordnung, wie sie eigentlich bei akademischen Sammelbänden durch ein umfangreiches Einleitungskapitel der Herausgeber üblich ist. Das gibt es leider in dem Band nicht – sieht man von einem eher lapidaren 1,5seitigen Vorwort ab. Die Chance, dem Titelhelden „Homo Connectus“ Leben einzuhauchen, wurde dabei vertan.

Eher wird der Leser mit den schwergewichtigen, über 400 Seiten starken Wälzer alleingelassen. Er muss sich selbst orientieren, um zwischen Spezialistentum, Allgemeinplätzen und wertvollen Erkenntnissen das zu finden, was ihn interessieren könnte. Das Buch ist weniger ein bunter Strauß an Ideen, als ein Steinbruch aus akademischer Textproduktion und Buzzword-Bingo. Wertvolle Erze sind zu finden, doch muss man eben ganz schön dafür graben.

Frank Keuper / Mark Schomann / Linda Isabell Sikora (Hrsg.): Homo Connectus – Einblicke in die Post-Solo-Ära des Kunden; Wiesbaden 2018, Springer Gabler; 472 Seiten, 64,99 €, ISBN 978-3-658-19132-0