Ein Zombie zeigt die Wahrheit

Eine Studie, die zwei Millionen Verwender für einen Marken-Zombie ermittelt, gibt Anlass für pauschale Kritik an der Marktforschung. Doch manchmal zeigt sich gerade in einem Fehler die Wahrheit, schreibt Dirk Engel in seiner Kolumne.

Totgesagte leben länger. Als jüngst die neue Welle der großen Markt-Media-Studie „Best for planning“ erschien, bemerkte jemand, welche guten Werte der Schoko-Riegel Banjo dort vorweisen kann. Der peinliche Schönheitsfehler: Die Marke Banjo ist seit 2009 nicht mehr auf dem Markt. Einige Experten stellten darauf den Wert von Markt- und Mediaforschung generell in Frage. Wenn man für einen Geister-Riegel über zwei Millionen Verwender identifiziert – bildet eine solche Studie wirklich die Wahrheit ab? Ein interessanter Fall, der zum Nachdenken anregt.

„Best for planning“ dient in erster Linie dazu, die Beziehung zwischen Auftraggeber (Großverlage) und dessen Agentur-Kunden zu pflegen. Deshalb geht sie in die Breite und muss so viele Informationen wie möglich enthalten, damit die Agenturen mit den Daten jonglieren können. Dass bei 2.400 abgefragten Marken auch eine Karteileiche dabei ist, ist nur ein kleines Versehen – das in den letzten fünf Jahren auch niemandem auffiel.

Ein Modell ist nicht die Wahrheit

Was ist der Wert einer solchen Studie? Sie kann immer nur oberflächliche Informationen liefern. Eine tiefergehende Betrachtung von Märkten erfordert hingegen eine produktspezifische Marktforschung. Markt-Media-Studien – die eierlegenden Wollmilchsäue der Branche – können keine kundenindividuelle Marktforschung ersetzen. Aber selbst die beste Studie schafft nur ein Modell des Marktes, nicht ein 1:1-Bild der Realität. Egal welche Methode ich einsetze – jede hat blinde Flecken. Doch im Marketing geht es nicht um Wahrheit, sondern das Fällen von Entscheidungen unter Unsicherheit – und dafür braucht es gute Modelle und vernünftige Indikatoren. Beides kann nur die Marktforschung liefern.

Das schwächste Glied: das Konsumenten-Gedächtnis

Aber ist es nicht ein Skandal, dass über 1.000 Befragte angeben, sie hätten einen Zombie-Riegel geknabbert? Das schwächste Glied in der ganzen Marktforschungs-Kette ist das Gedächtnis des Befragten. Der Konsument ist nicht dumm oder unwillig, aber er merkt sich nur die Sachen, die für ihn wichtig sind – und dazu gehören nicht unbedingt Marken und Produkte. Je mehr Marken in einem Interview abgefragt werden, desto mehr verschwimmen die Erinnerungen. Doch dies gilt auch für die Kaufsituation: Der Verbraucher wird mit Tausenden von Marken und Produkten konfrontiert. Da sind Missverständnisse an der Tagesordnung, zumal viele Marken auch alles andere als ein klares Bild vermitteln.

Ob ich letzte Woche ein Balisto oder ein Banjo gegessen habe, das ist wirklich nicht die Art von Information, für die unser Gehirn viel Energie zur Speicherung aufwenden sollte. Die Zombie-Zahlen für einen toten Schokoriegel zeigen uns, was in den Köpfen der Menschen vorgeht – auch die Konsum-Konfusion ist ein Aspekt des wirklichen Marktgeschehens. Hat uns nicht gerade dieser kleine Fehler einen flüchtigen Blick auf die Wahrheit ermöglicht?

Ach ja, noch die praktische Folgerung: Die Zahlen für Banjo sind ja recht gut. Sollte nicht jemand den Riegel wieder auf dem Markt bringen? Zwei Millionen treue Kunden hat er ja schließlich noch.

Kolume, erschienen am 25. November 2015, bei Springer für Professionals