Macht das Umfeld den Unterschied?

Bei Online-Werbung kümmern sich die Werber immer weniger darum, wo sie ausgespielt ist. Doch zeigen Studien und Psychologie wie vielfältig Werbung und redaktioneller Kontext zusammenspielen. In den USA sagen Forscher ganz klar: „Context Matters!“ Doch viele Mediaplaner kümmern sich zu sehr um Kosten und Reichweiten und zu wenig über die passende Platzierung.

Zu diesem Thema habe ich einen Beitrag für die führende Fachzeitschrift für Marktforschung, Planung & Analyse, geschrieben. Hier können Sie ihn lesen.

In der Werbung kommt es darauf an, die richtigen Leute zu erreichen. Zeitschriften, TV-Sendungen oder Radiosender eignen sich dann für eine bestimmte Werbekampagne, wenn man mit ihnen die anvisierte Zielgruppe erreicht. Dies funktioniert aber nur, wenn der redaktionelle Inhalt, in dem die Werbung eingebettet wird, die Menschen in der Zielgruppe interessiert und fasziniert. Für die Nutzer der Medien sind diese Inhalte das Wichtigste, Mediaplaner sprechen nur profan vom Umfeld – für sie ist es nur das Drumherum der Werbung. Doch wie wichtig ist dieses Umfeld für die angestrebte Werbewirkung? Anders ausgedrückt: Macht es einen Unterschied, wo eine Werbung platziert ist?

Targeting und Umfeldblindheit

Zurzeit wächst in der Mediapraxis die Bedeutung des Programmatic Advertising, insbesondere bei Online-Werbekampagnen – dabei werden automatisiert Kontakte eingekauft, die auf Basis von Daten einer bestimmten Zielgruppe zugeordnet werden. Das Versprechen: man erreicht immer die richtigen Menschen – unabhängig vom Umfeld. Bei diesem Targeting kann der Werbekontakt irgendwo stattfinden und dort eingekauft werden, wo er am günstigsten ist. Viele Werbevermarkter kritisieren diese Umfeldblindheit, denn sie behaupten, eine platzierte Werbung werde dort besser gelernt, tiefer verarbeitet oder positiver aufgenommen, wo das Umfeld passt. Was ist dran an dieser These?

Umfeldeffekte – auch Kontext-, Spill-over- oder Transfereffekte genannt – basieren auf drei unabhängigen Mechanismen. Zum einen erreicht jedes Umfeld ein anderes Publikum, das sich in seinen Bedürfnissen, Erwartungen und Motiven von anderen Publika unterscheidet und für die das jeweilige Umfeld besonders relevant ist. Das Umfeld ist also nur Mittel zum Zweck für ein spitzes Targeting. Lässt man zweitens diesen Aspekt aber außer Acht und geht hypothetisch davon aus, dass alle Nutzer gleich seien, dann kann das Umfeld die Werbewirkung steigern, weil es die Art und Weise verändert, wie die Rezipienten die eingebettete Werbung verarbeiten. Eine bestimmte TV-Show schafft es zum Beispiel besser oder schlechter als andere, die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf einem hohen Niveau zu halten, wovon der Werbeblock profitiert. In eine ähnliche Richtung geht eine dritte Art von Wirkung: Bestimmte Medienumfelder korrelieren mit bestimmten Rezeptionssituationen und der Verfasstheit der Menschen. Eine Late-Night-Show geht – schon alleine aufgrund der Ausstrahlungszeit – mit einer eher entspannten bis müden Verfassung der Zuschauer einher.

Psychologisch lassen sich positive Umfeldeffekte auf vielfältige Art erklären. Die gemeinsame Logik dahinter ist folgende: Die zeitlich vorhergehende Rezeption des Umfeldes führt zu Zuständen und Veränderungen, die bei der Verarbeitung der nachfolgenden Werbung weiterhin wirksam sind. Ein Beispiel ist die Attentional Inertia: Das Umfeld erhöht die Aufmerksamkeit der Rezipienten, die sich dadurch auf einem höheren Niveau befindet. Zwar sinkt die Aufmerksamkeit bei der Werbung, doch ist das Niveau immer noch angehoben und kann im Laufe der weiteren Umfeldrezeption kumulieren.

Die körperliche Erregtheit kann durch das Programmumfeld steigen, baut sich aber langsamer ab als die kognitive Beschäftigung mit der Sendung. Während des Werbeblocks dauert dann die physiologische Aktivierung weiter an und wird unbewusst dem neuen Reiz – der Werbung – zugeschrieben. Nach diesem Modell des Arousal Transfer profitiert Werbung also von der Erregung durch das Umfeld – unabhängig, ob diese durch positive oder negative Emotionen hervorgerufen wurde. Gleichgültig, ob beim spannenden Fußballspiel das eigene Team verliert oder gewinnt – die Aufregungsreste wirken in der Halbzeitwerbung positiv auf die Verarbeitung der gesehenen Spots.

Menschen nutzen Medien zum Mood Management – sie wollen bewusst oder unbewusst ihre Stimmung verbessern oder ihre gute Stimmung aufrechterhalten und wählen deshalb zum Beispiel im Radio die Musik, die ihnen das ermöglicht. Eine gute Stimmung beeinflusst aber die Werbewirkung – es werden weniger negative Argumente aufgerufen, Urteile und Entscheidungen werden schneller gefällt, es werden eher stimmungskongruente Informationen erinnert – wir kennen das aus dem Urlaub, wo uns meist das Geld lockerer in der Hand liegt. Kurz gesagt: In einer positiven Stimmung beurteilen wir die beworbenen Marken positiver. Darüber hinaus kommt affektives Priming zum Tragen: Das Umfeld bahnt die Verarbeitung der folgenden Werbung. Positive Assoziationen, die durch das Programm ausgelöst werden, führen dazu, dass die Werbung bewusst oder unbewusst positiver wahrgenommen wird. Forschungsergebnisse zu Priming-Effekten zeigten, dass diese Einfluss auf Behalten, Bewerten und sogar Verhalten haben können.

Wie kommen Umfeldeffekte zustande?

Wie kommen Umfeldeffekte zustande? Die amerikanische Advertising Research Foundation (ARF), ein von großen Werbungtreibenden getragene Institution, die Grundlagenforschung betreibt, hat in einer umfangreichen Studie die Bedeutung von Umfeldeffekten im Fernsehen herausgearbeitet. Dabei wurden 60 verschiedene Werbespots in 31 Programmen platziert und die emotionalen Reaktionen gemessen. Die ARF-Forscher, allen voran der frühere NBC-Chefforscher Horst Stipp, kommen zu dem Ergebnis, dass ein emotionales Zusammenspiel von Marke und Sendung die Wirkung erhöht – sie sprechen vom Emotional Alignment. Ihrer Einschätzung nach verschenken viele Marken diese Chance. „Context Matters!“ – so plakativ resümiert die ARF ihre Forschung.

Hierzulande propagieren die Zeitschriftenverlage seit längerer Zeit die wirkungsfördernde Kraft von Qualitätsumfeldern, nicht nur in gedruckten Heften, sondern gerade im Internet. In verschiedenen Studien (etwa Editorial Brand Impact, von Gruner + Jahr und dem Spiegel herausgegeben) haben sie positive Umfeldeffekte nachgewiesen. Auf der Website Editorial Media sammelt der Verband der Zeitschriftenverleger VDZ Informationen und Erkenntnisse unter dem Motto „Weil gute Inhalte das beste Werbeumfeld sind“. Einige TV-Sender veröffentlichen ebenfalls regelmäßig Studien zu Umfeldern. Hier sind es vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender, die sich des Themas in allen Facetten annehmen: So zeigen sie nicht nur, dass der gleiche Werbespot besser im eigenen Umfeld als in denen auf der privaten Konkurrenz funktioniert. Auch der Werbeblock als direktes Umfeld eines Spots macht einen Unterschied: Je kürzer ein Werbeblock im Radio ist, desto besser wirkt die dort platzierte Werbung, fand die ARD heraus. Und das ZDF zeigte, dass die Mainzelmännchen die Werbewirkung verstärken.

Tools zur Umfeld-Optimierung

Einige Werbevermarkter und Marktforschungsinstitute bieten ihren Kunden Instrumente an, um Umfeldeffekte zu erforschen. So hat der RTL-Vermarkter IP Deutschland ein Studiendesign mit dem Namen Marken-Umfeld-Kompass (MUK) entwickelt. In Zusammenarbeit mit Marktforschungsinstituten werden dabei mittels Online-Umfragen Marken und TV-Sender bewertet und auf ihre Passung hin untersucht. Einen anderen Ansatz verfolgt das Konsumentenbüro, ein Marktforschungs- und Beratungsunternehmen für Mediastrategie. Hier wird auf die Rezeptionsverfassung gezielt – denn Menschen haben in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Motivationen. Nicht das einzelne redaktionelle Umfeld ist dabei bedeutsam, sondern die Kombination von genutztem Medium und Zeitpunkt. Aus der psychologischen Erforschung des Tagesverlaufs ergeben sich so Möglichkeiten, den Mediaplan und damit die Wirkungschancen zu optimieren.

Das Thema Umfeldeffekte ist aber noch lange nicht ausgeschöpft: Viele Unternehmen scheinen sich wenig dafür zu interessieren – und wenn, dann eher im Zusammenhang mit Brand Safety, also dem Verhindern von Online-Platzierungen in unpassenden Kontexten, was bei automatisch ausgesteuerter Werbung immer schwieriger wird. Den Umfeld-Mehrwert scheinen viele Werbungtreibende und Agenturen zu vernachlässigen, da sie sich eher auf gute Einkaufskonditionen oder hohe Reichweiten konzentrieren. Dabei lassen sich Umfeldeffekte in Studien nachweisen und mit psychologischen Modellen gut erklären.

Erschienen in planung&analyse 3/2018

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