Markenpflege als Gemeinschaftsaufgabe

Buchkritik:

„Die größte Agentur der Welt“ von Hermann Sottong –

Was ist eigentlich heutzutage eine Marke? Die Frage ist gar nicht so einfach. Natürlich gibt es genügend Definitionen in Lehrbüchern oder auf Wikipedia, doch stimmen diese noch mit der derzeitigen Marktrealität im Einklang? Tatsächlich ist der ungetrübte Glaube an die Macht der Marke zunehmend an schwinden – sowohl bei Konsumenten, wie bei Marketing-Entscheidern. Der Marketing-Berater Hermann Sottong versucht sich in seinem Buch „Die größte Agentur der Welt“ eine Standortbestimmung.

Als studierter Semiotiker sieht er die Marke in erster Linie als Zeichen – sie vermittelt für Käufer und Marken-Verantwortliche einen Sinn. Dieser wird aber nicht vom Unternehmen und seiner Marketing-Abteilung definiert, sondern von den Konsumenten in der alltäglichen Praxis. Marken werden durch die Gespräche der Menschen geprägt, die mit ihr in der einen oder anderen Weise in Kontakt kommen. Das erklärt der Autor nicht anhand von Beispielen der üblichen Verdächtigen wie Apple oder Coca Cola, sondern von Kleinstunternehmen: Eine lokale Gaststätte ist auch eine Marke, die genauso von den Gästen wie dem Wirt zum Leben erweckt wird. Diese zwischenmenschlichen Diskurse meint Sottong, wenn er im Titel von der „größten Agentur der Welt“ spricht – die Konsumenten pflegen eine Marke und nicht die Werbeprofis. Dass die Konsumenten heute allerdings Marken gegenüber kritischer sind, erfordert eine andere Kommunikation. Werbung dient dazu, eine Komplizenschaft zwischen Marke und Zielgruppe aufzubauen – sie signalisiert, oft mit einem Augenzwinkern: „Wir verstehen uns.“

Der Ansatz, Konsum und Marken semiotisch zu erklären, ist nicht neu – schon vor einigen Jahrzehnten schrieb Jean Baudrillard über die Mythen der Konsumgesellschaft. Sottong vermeidet weitgehend den akademischen Fachjargon, genauso wie das typische Denglisch-Kauderwelsch vieler Marketing-Bücher. Dadurch sind seine Gedanken leichter nachvollziehbar als die vieler anderer Intellektuellen, die sich mit Marken und Werbung meist kritisch beschäftigen. In dem Buch, das sehr essayistisch geschrieben ist, schwankt die Perspektive des Autors zwischen der eines gesellschaftlichen Beobachters und der eines Unternehmensberaters. Das macht das Buch nicht immer leicht verständlich, eröffnet aber neue Impulse. Eine „Anleitung zum Post-Fake-Marketing“ im Sinne eines Ratgebers für die Berufspraxis (wie es der Untertitel zu suggerieren scheint), ist es aber nicht, dazu fehlen eine klare Systematik und die Handlungsaufforderungen. Doch jeder, der über die Frage, was eine Marke heute bedeutet, nachdenken will, findet in dem Buch viele Anregungen.

Hermann Sottong: Die größte Agentur der Welt – Anleitung zum Post-Fake-Marketing; Hamburg 2017, Sven Murmann Verlagsgesellschaft (Edition Kursbuch), 214 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-9465147-1-8