Auf den Schultern von David

Buchkritik:

„Ogilvy über Werbung im digitalen Zeitalter“ von Miles Young –

David Ogilvy ist zwanzig Jahre nach seinem Tod der wohl bekannteste Werber der Welt. Das verdankt sich nicht nur seiner Arbeit und der noch heute erfolgreichen Agentur, die er gegründete und die bis heute seinen Namen trägt. Grund für seinen Nachruhm ist ein Buch: „Ogilvy about Advertising“ ist wahrscheinlich das erfolgreichste Buch zum Thema Werbung, 1983 erschienen, in viele Sprachen übersetzt, noch heute lieferbar und dank des Talentes seines Autors weiterhin lesenswert.

Ogilvy hat das Bild des Werbers über Jahrzehnte geprägt. Er war kein Künstler, sondern ein Geschäftsmann, der seinen Beruf liebte. Nicht ganz frei von Eitelkeiten, aber mit einem nüchternen Stil und einem lakonischen Humor erklärte er der Welt, was er für gute Werbung hielt. Das ist immer noch erhellend, doch sind seine Beispiele aus einer vergangenen Zeit: Die printlastige Werbewelt der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wirkt heute seltsam nostalgisch. Ein Up-Date für die moderne Werbewelt schien eine gute Idee, allerdings steht der Autor nicht mehr zur Verfügung, er starb 1999 noch bevor das Internet vieles veränderte.

Dass es jetzt trotzdem ein Buch „Ogilvy über Werbung im digitalen Zeitalter“ gibt, ist Miles Young zu verdanken, Chairman von Ogilvy & Mather. Ob er wirklich, wie sein Vorbild, jede Zeile selbst geschrieben hat oder auf Ressourcen seines Agenturnetzwerkes zurückgreifen durfte, ist dabei irrelevant. Der „neue“ Ogilvy ist etwas ganz anderes als der alte. Das Buch ist nichts weniger als ein umfassendes Lehrbuch zum Thema Werbung. Gut gegliedert, reich bebildert, voll von Informationen, Systematisierungen und Erklärungen ist es überaus informativ.

Im Gegensatz zu vielen akademischen Marketing-Lehrbüchern, die nur zur Vorbereitung von Uni-Klausuren taugen, richtet es sich an die Praktiker und spiegelt die Praxis wieder, in dem es Unmengen von Beispielen von Kampagnen und Marketingmaßnahmen zeigt. Sicherlich sind dabei die Arbeiten der Ogilvy-Gruppe überrepräsentiert, doch erschöpft sich die Darstellung nicht in einer bloßen Agenturselbstdarstellungen. Die Beispiele dienen der Illustration und machen damit die Systematisierungen lebendig. David Ogilvys Buch war sicherlich persönlicher und eigenwilliger, der Nutzwert des neuen Werkes ist aber ungemein größer. Trotzdem hat der Text, ganz in der Tradition des Vorbilds, an vielen Stellen einen individuellen Touch, so dass die Persönlichkeit des Autors Miles Young hervorscheint.

Dazu gehört auch ein Geschichtsbewusstsein, das den meisten Werbern fehlt: Wissend, dass wir alle auf den Schultern von Riesen stehen, wird die Leistung der großen Werber, Forscher und Marketing-Gurus der Vergangenheit und Gegenwart gewürdigt – nicht nur die des Namensgebers. Dadurch wird die Lektüre unterhaltsamer, die aufwendige Gestaltung mit durchgängig farbigen Abbildungen auf fast jeder Seite lädt außerdem zum Blättern und Stöbern ein. Doch lohnt es sich, den Band von vorne bis hinten durchzulesen. Noch ist der Inhalt aktuell, allerdings ist die Entwicklung im Marketing rasant. Ein Longseller wie der „alte“ Ogilvy wird das Buch nur, wenn es regelmäßig aktualisiert wird. Derzeit ist es wahrscheinlich das beste Buch über Werbung auf dem Markt.

Miles Young: Ogilvy über Werbung im digitalen Zeitalter; München 2018, Verlag Franz Vahlen; 288 Seiten, 39,80 €, ISBN 978-3-8006-5771-1