Soaps, Spam und Oprah

Buchkritik:

„The Attention Merchants“ von Tim Wu –

Wenn Werber und Medienleute nach einer gemeinsamen Berufsbezeichnung suchen würden, müssten sie nur Tim Wu fragen. Der amerikanische Jurist bezeichnet sie als “Attention Merchants”, also Aufmerksamkeits-Händler. Das ist der Titel seines jüngsten Buches, in dem er die Geschichte dieser Zunft nacherzählt. Wu ist ein Chronist der Medienindustrie und in „The Attention Merchants“ konzentriert er sich auf das in den letzten 150 Jahren gängige Geschäftsmodell: Menschen dazu zu bringen, ihre Aufmerksamkeit bestimmten Inhalten zu widmen und ihnen gleichzeitig bezahlte Werbe- und Verkaufsbotschaften zu präsentieren.

Den Start dieses Geschäftszweiges datiert er um 1830 – damals erschien erstmals die Zeitung „The New York Sun“, die schnell zu einem Massenblatt wurde und sich gegenüber den elitären Konkurrenten durchgesetzt hat. Der Grund dafür erscheint uns heute selbstverständlich, war damals aber revolutionär: Der Herausgeber senkte den Verkaufspreis pro Zeitung deutlich unter die Herstellungskosten – und finanzierte das durch den Verkauf von Werbeanzeigen.

Von da an war die Aufmerksamkeits-Industrie geboren, ein Schulterschluss von Medien, Werbeprofis und Massenproduktion. Wu verfolgt die Entwicklung in anschaulichen, eher journalistischen als geschichtswissenschaftlichen Schlaglichtern: Den Verkauf fragwürdiger Pseudo-Medizin im 19. Jahrhundert – und wie dies zu dem ersten gesetzlichen Verbraucherschutz führte; wie eine der ersten Radio-Sitcoms zum Prototyp jeglicher Serien und Soap Operas wurde; wie Radio und Fernsehen die Primetime erfanden und damit den Alltag der Menschen grundlegend neu strukturierten; wie die Google-Gründer aus ihrer Ablehnung jeglicher Werbung gegenüber den bis heute lukrativste Aufmerksamkeits-Verkaufsmasche schufen. Einige bekannte Gesichter trifft man – zum Beispiel Oprah Winfrey, den mächtigsten Eine-Frau-Konzern in diesem Metier.

Doch viele Akteure lernt man hier zum ersten Mal kennen – wie etwa den IT-Mann, der in den Siebzigern die erste Spam-Email verschickte. Das Buch lässt Unternehmen und ihre Gründer wie in einer Revue aufmarschieren, was es zu einer kurzweiligen Lektüre macht. Eine übergreifende Einordnung oder gar ein Modell der Entwicklungsgeschichte liefert der Autor aber nicht – auch wenn bei den einzelnen Geschichten Gemeinsamkeiten, Zusammenhänge und Brüche deutlich werden. Die Perspektive ist allerdings sehr US-amerikanisch – kein Wunder, denn in den Staaten hat sich die Aufmerksamkeits-Industrie entwickelt und von da ihren Siegeszug um die Welt gestartet. Lediglich die Polit- und Kriegspropaganda der Nazis und des britischen Militärs räumt der Autor eigene Kapitel ein.

Einige der Details und Anekdoten sind eher „nice-to-know“, doch die Strukturen dahinter (die der Leser eher selbst herausarbeiten muss) sind interessant. Denn wir verstehen die Gegenwart und die Zukunft besser, wenn wir die Vergangenheit kennen. Deshalb lohnt es sich, etwas Aufmerksamkeit den „Attention Merchants“ zu schenken.

Tim Wu: The Attention Merchants -The Epic Scramble to Get Inside Our Heads (Englisch), Alfred A. Knopf, New York 2016, 390 Seiten, ca. 18 €, ISBN 978-0-385-35201-7