Die Mühsal der Neuroforschung

Buchkritik:

„Consumer Neuroscience“ von Peter Kenning –  

Die Marktforscher hatten wahrscheinlich schon lange davon geträumt: Wie wäre es, wenn man dem Konsumenten einfach in den Kopf schauen könnte?

Dann bräuchte man sich nicht mehr auf ungenaue und widersprüchliche Auskünfte verlassen, die er in Interviews und Gruppendiskussionen gibt. Seit einigen Jahren gibt es Autoren, die genau dies versprechen: Anstatt sich auf standardisierte Umfragen und qualitative Tiefeninterviews zu verlassen, kann man das Verbraucherverhalten mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden erforschen.

Das Zauberwort heißt „Neuromarketing“ und einige Marketing-Gurus behaupten, der Einsatz von Methoden der Neurowissenschaft und Medizin würde das Marketing revolutionieren. Das Problem dabei: Wahrscheinlich sind es nur wenige dieser populärwissenschaftlichen Autoren, die sich wirklich mit Neurowissenschaft auskennen, geschweige denn selbst Studien durchgeführt haben.

Peter Kenning gehört zu den wenigen deutschen Wissenschaftlern, der weiß wovon er redet, wenn er über Neurowissenschaft spricht. Der BWL-Professor hat sich eine medizinische Ausbildung angeeignet und forscht selbst mit den bildgebenden Verfahren, die andere nur vom Hörensagen kennen. Jetzt hat er ein Lehrbuch geschrieben, um Studenten und Nachwuchs-Wissenschaftler das Handwerkszeug zu geben, selbst solche Studien durchzuführen. Entsprechend akademisch ist das Buch geraten – doch trotzdem handelt es sich um eine wertvolle Lektüre für alle, die beim Thema Neuromarketing mitreden wollen. Denn das Buch liefert – oft eher nebenbei – wichtige Informationen, die populäre Neuro-Gurus gerne unter den Tisch fallen lassen.

Das fängt schon beim Begriff Neuromarketing an – nach Kenning ein unsinniger Begriff: Marketing bedeutet marktorientierte Unternehmensführung, deshalb kann es zwar beispielsweise ein Handelsmarketing geben (als marktorientierte Führung von Handelsunternehmen), aber kein Neuromarketing – das wäre nämlich eine marktorientierte Führung von Neuronen. Deshalb spricht Kenning von Consumer Neuroscience – der Erforschung des Entscheidungsverhaltens von Konsumenten.

Dass dies ein mühseliges und schwieriges Geschäft ist, wird deutlich, wenn Kenning die typischen Untersuchungsabläufe erläutert. Eine Vielzahl von Maßnahmen und Entscheidungen müssen getroffen werden (bis hin zu dem ethischen Problem, ob die wissenschaftliche Fragestellung es rechtfertigt, Freiwillige mit radioaktiven Substanzen und Magneten zu bearbeiten), der Versuchsablauf ist rigide, die Präsentation von Stimulus-Material eingeschränkt, die Datenanalyse komplex, die Interpretation schwierig.

In den populären Büchern erscheint es einfacher: Da werden ein paar Versuchspersonen in die Röhre geschoben und dann leuchten auf wunderschönen Scans Belohnungs- oder Schmerz-Zentren rot auf. Der Weg dahin ist mühsam, wenn man Fehler vermeiden will, darüber gibt Kennings Lehrbuch Auskunft. Und eine andere Sache ist auch bezeichnend: Von den 240 Seiten des Buches handelt nur ein Sechstel von den Befunden der neuroökonomischen Forschung. Denn es besteht ein Missverhältnis zwischen dem, was die Neuro-Gurus als Revolution ausrufen und der immer noch überschaubaren Anzahl tatsächlicher empirischer Ergebnisse der Forschungsrichtung.

Das Buch von Kenning ist eine wohltuende Versachlichung vieler Neuromarketing-Mythen und macht den Leser fit, sich kritisch und kompetent mit den Befunden der Neurowissenschaft auseinander zu setzen. Dafür muss man sich auf den medizinischen und akademischen Fachjargon einlassen. Doch selbst das Querlesen hilft schon, den Versprechungen der Neuro-Gurus und Neuro-Jünger nicht mehr so einfach auf den Leim zu gehen.

Peter Kenning: „Consumer Neuroscience – Ein transdisziplinäres Lehrbuch“, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2014, 244 Seiten, 39,90 EUR, ISBN 978-3-17-020727-1.