Forscher brauchen Daten, aber brauchen Daten auch Forscher? Dieser provokanten Frage haben sich beim ersten Tag der DAIS-Konferenz vier renommierte Marktforschungs-Experten gestellt. Einig war man sich, dass kompetente Marktforscher nicht überflüssig werden. Doch zeigten sich durchaus unterschiedliche Blickwinkel beim Umgang mit neuen Datenquellen und Technologien. Für das Online-Portal der Marktforschungs-Fachzeitschrift Planung & Analyse habe ich einen kurzen Bericht über die Diskussionsrunde geschrieben. Hier können Sie ihn lesen:
Das Miteinander von Mensch und Maschine
Andreas Pohle von der Insights Division bei Kantar, stellte klar: Marktforschungsinstitute müssen umdenken. Während sie früher die Daten selbst ausschließlich selbst erhoben haben, müssen sie heute die vielfältigen externen Datenquellen nutzen. Die Hauptaufgabe sei es, aus der Fülle der Daten die relevanten herauszufiltern.
Die Sichtweise der Auftraggeber vertrat Anja Stolz, CMO und Bereichsleiterin Marketing bei der R+V Versicherung. „Wir sitzen auf 9 Millionen Kundendaten, nimmt man die unserer Partner noch dazu, sind es sogar 30 Millionen.“ Der Nutzen besteht nicht nur in der Analyse, sondern auch daran, mit Hilfe dieser Daten das richtige Angebot an den richtigen Kunden automatisiert auszuspielen. Dies funktioniere gut, doch reicht es nicht aus, nur das WAS und das WIEVIEL zu sehen, man müsse das WARUM verstehen. „Da haben wir alle ein Defizit, wir müssen Trends und die psychologischen Treiber verstehen“, erläuterte Stolz. Sie brachte es auf den Punkt: Weg von Big Data, hin zu Thick Data.
Das sah Jens Lönneker von rheingold salon ähnlich – Sinn und Verstehen müssen im Vordergrund stehen. Marktforscher dürften keine reinen Datenlieferanten werden. Er sehe bei vielen Instituten eine defensive Haltung, anstatt das man selbstbewusst die eigene Kompetenz bei der Interpretation herauszustellen.
Von sich verändernden Bedürfnisses im Marketing berichtete Sabine Menzel, Director Consumer & Market Intelligence, L’ORÉAL HUB Österreich/Deutschland. Bei den Konsumgütern des täglichen Bedarfs habe man, anders als bei einer Versicherung, kaum direkten Zugriff auf den Endkunden. Dessen Consumer Journey, die stark medial geprägt sei, muss aber verstanden und beeinflusst werden. Hier würden Befragungsdaten oder die herkömmlichen Handels-Panels nicht mehr ausreichen, digitale Messungen gewinnen dafür an Bedeutung. Das zeige sich am heutigen Portfolio der eingesetzten Dienstleister. Hinzu komme, dass mittlerweile in einem Unternehmen viele Abteilungen direkten Zugriff auf digitale Daten haben – die Rolle des Gatekeepers zu Konsumentenwünschen, die früher exklusiv die betrieblichen Marktforscher innehatten, gebe es nicht mehr. Ergänzt wurden die Gedanken von Anja Stolz: „Die Daten sind das gespeicherte Wissen über Kunden – das müssen wir nutzbar machen. Tante Emma machte einst in ihrem Laden das gleiche.“ Nur benötige man bei Millionen Daten eben Technologie und Data Scientists.
Dieser veränderten Lage habe Kantar Rechnung getragen, berichtete Andreas Pohle. Manche Marktforscher glaubten früher, dass nur die selbst erhobenen Informationen wahr seien. Derzeit arbeite Kantar verstärkt mit externen Datenlieferanten wie Google oder Facebook zusammen. Das Angebot verändere sich ständig – viele neue Apps lieferten neue Daten. Erst die Verknüpfung solcher Daten ermögliche es, ein holistisches Bild der Kunden zu zeichnen. Pohle bedauerte, dass es in der Branche immer noch Vorbehalte gegen diesen Umgang mit externen Quellen gebe, was sich etwa bei der umstrittenen Frage zeige, ob man mit nicht-anonymisierten Daten arbeiten dürfe. „Wenn unsere Befragten es uns erlauben, ihre Informationen nicht anonymisiert zu geben, damit wir sie besser mit anderen verknüpfen können, dann ist das völlig in Ordnung“, meinte der Kantar-Manager.
Hier mahnte Jens Lönneker zur Vorsicht. Er sei durchaus ein Fan von neuen technischen Ansätzen und Künstlicher Intelligenz. Aber bei vielen Data Scientists fehle die Kompetenz, Technologien zu hinterfragen. Deshalb müssen bei den Themen Sinn und die Zielsetzung die Marktforscher die Hoheit behalten. „Wenn wir das nicht machen, braucht man uns bald nicht mehr – zu Recht!“. Unterstützt wurde er von R+V-Marketingfrau Anja Stolz. Ihrer Beobachtung nach arbeiteten Data Scientists gut mit statistischen Modellen, aber sie stellten nicht die richtigen Fragen. Dafür bedürfe es eines guten Bauchgefühls. Das sollte man bei aller Technologie-Gläubigkeit nie über Bord werfen. Die Kompetenz, das Kundenwissen zu bündeln und in Marketing umzusetzen, sei der einzigartige Vorteil der Marktforscher.
Prinzipiell würde er mit den anderen auf einer Linie sein, meinte Andreas Pohle. Doch stellte er einige Leistungen der neuen Datentechnologien heraus: Etwa bei der Vercodung von offenen Antworten in Umfragen oder bei Prognose-Modellen liefere künstliche Intelligenz gute oder sogar bessere Ergebnisse. Er plädierte für ein Miteinander von Mensch und Maschine. Noch sei der Mensch entscheidend. Ob das allerdings in zehn oder zwanzig Jahren immer noch so sein würde, da sei er sich nicht sicher.
Die Teilnehmer:
- Jens Lönneker, Geschäftsführer rheingold salon
- Sabine Menzel, Director Consumer & Market Intelligence, L’ORÉAL HUB Österreich/Deutschland
- Andreas Pohle, Chief Marketing & Transformation Officer Insights Division bei Kantar
- Anja Stolz, CMO und Bereichsleiterin Marketing bei der R+V Versicherung
- Moderiert wurde die Diskussion von Sabine Hedewig-Mohr und Uwe Vorkötter.